Abrechnung mit dem Kolonialismus:Mensch und Ware

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Achille Mbembe hat an der Sorbonne in Paris Geschichte studiert und lehrt derzeit in Südafrika. (Foto: Cyril Folliot/AFP)

Achille Mbembe erhält für sein Buch den Geschwister-Scholl-Preis. Mbembes Hinweise auf eine "Afrikanisierung" mancher Weltteile könnten aktueller nicht sein, so die Jury.

Von Johanna pfund

Zu Hunderttausenden suchen Menschen aus Asien und Afrika derzeit eine neue Heimat und lösen damit in Europa widersprüchliche Reaktionen aus. Nicht zuletzt nimmt auch die Rassismus-Debatte mit der steigenden Zahl der Neuankömmlinge Fahrt auf. Zeit für einen Blick von außen. Die Jury des Geschwister-Scholl-Preises ist daher bei der Suche nach einem - im Sinne des Preises - herausragenden Buch denn auch außerhalb Europas fündig geworden. Der aus Kamerun stammende Historiker Achille Mbembe erhält die Auszeichnung, die alljährlich vom Landesverband Bayern des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und der Stadt München verliehen wird, für sein 2014 erschienenes Werk "Kritik der schwarzen Vernunft". Es ist eine thesenreiche Abhandlung über Rassismus und Kapitalismus, die schließlich in den Appell mündet, dass sich die Menschen als Einheit begreifen sollten. "Die Welt wird daher keinen dauerhaften Bestand haben, wenn die Menschheit sich nicht der Aufgabe annimmt, die Lebensreserven, wie man sie nennen könnte, anzulegen."

Mbembe gilt als Vordenker des Postkolonialismus. Studiert hat der 1957 geborene Wissenschaftler an der Sorbonne in Paris und wurde dort auch promoviert. Nach mehreren Stationen in den USA - unter anderem in Yale und Berkeley - lehrt Mbembe seit 2001 am Institute of Social and Economic Research (WISER) an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg in Südafrika. Der Historiker kennt sich also aus in französischer Philosophie, in Sachen Kolonialismus, in Afrika. Auf dieser Basis kann er es sich leisten, zu provozieren und schlicht vom Neger zu schreiben.

Wobei dieser hierzulande verpönte Begriff für ihn eine Idee ist. Genauer gesagt, die Summe vieler Vorstellungen. Er ist für ihn das Konzept, auf dem der Kapitalismus basiert: Ein Wesen, das man ausbeutet, benutzt, das mehr Tier denn Mensch ist. Und heute erfüllen alle diejenigen, die man nicht mehr braucht, diese Rolle, ganz egal, wo auf der Welt.

Das klingt einfach, doch leicht macht es Mbembe seinen Lesern nicht. Er nimmt sie mit auf einen Höllenritt durch 500 Jahre Geschichte, philosophischer Theorien und eigener Thesen, denen es nicht an Schlagwörtern mangelt. Allein der Titel ist eine neue von vielen Variationen von Immanuel Kants "Die Kritik der reinen Vernunft" aus dem Jahr 1781. Das Buch ist eines der wichtigsten Werke der Aufklärung und beschäftigt sich mit der Frage: Wie gewinnt man Erkenntnis?

Und nun macht sich Mbembe daran, herauszufinden, was die schwarze Vernunft ist. Wie rational oder irrational man Menschen aus Afrika in den vergangenen 500 Jahren gesehen, genutzt und ausgenutzt hat. Am Anfang steht der Verkauf von afrikanischen Sklaven nach Nordamerika. Dort wurden die Afrikaner als Arbeitskraft benötigt und ermöglichten so erst den Kapitalismus, das ist eine der Hauptthesen. "Der Neger ist in der Tat das Räderwerk, das in Gestalt der Plantage die damals effizienteste Form der Akkumulation von Reichtum zu erschaffen erlaubte und so die Integration des Handelskapitalismus, des Einsatzes von Maschinen und der Kontrolle über abhängige Arbeit beschleunigte", schreibt Mbembe.

Mbembes Hinweise auf eine "Afrikanisierung" mancher Weltteile könnten aktueller nicht sein, so die Jury

Auf die Phase der nordamerikanischen Sklaverei folgt für den Autor die Phase der Kolonisierung, gepaart mit der Forderung der Ausgebeuteten, als vollwertige Menschen wahrgenommen zu werden. Auch die Rolle, die Islam, Christentum oder Animismus spielen, baut der Historiker ein. Schließlich kommt Phase drei, die Globalisierung, die wiederum Menschen zur Verfügungsmasse macht.

Auf dem Weg durch diese Zeitabschnitte analysiert und zitiert Achille Mbembe Philosophen wie Michel Foucault, den Demokratie-Reisenden des 19. Jahrhunderts, Alexis de Toqueville, oder schließlich den Beobachter des sich auflösenden Kolonialismus, Frantz Fanon. Schlag auf Schlag wartet er mit Thesen auf, spart nicht an Substantiven und manches Mal lässt er zugunsten der These den ein oder anderen Aspekt aus - zum Beispiel den der Frauenrechte. Eine grundsätzliche, weiter in die Vergangenheit zurückreichende Betrachtung über Sklaverei und Unterdrückung kommt nicht vor, obwohl diese Konzepte ja schon lange vor dem 16. Jahrhundert die Geschichte bestimmt haben.

Dennoch, das Werk regt zum Nachdenken an, darüber, was Rassismus im Grunde ist. Somit wird Mbembe laut Jury dem Anspruch des Preises gerecht: Mbembes Hinweise auf eine "Afrikanisierung" mancher Weltteile könnten aktueller nicht sein, heißt es in der Begründung. Das Werk schärfe den Blick auf eine globalisierte Weltgesellschaft, die nicht nur Waren und Kapital verschiebt, sondern auch Menschen und Arbeitskraft.

Lesung mit Achille Mbembe, Dienstag, 1. Dezember, 20 Uhr, Lehmkuhl.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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