Wieder Pech gehabt. Die Frau aus Kairo, die so gut englisch spricht, hat den Sitzplatz weiter hinten. Man selbst bekommt einen Anzugträger an die Seite, der den Laptop aufklappt und die mittlere Armstütze als sein gottgegebenes Recht ansieht. Kann ja ein öder Flug werden, aber: Tina Uebel in der Handtasche! "Uebel unterwegs" heißt das Buch der Hamburger Schriftstellerin, und natürlich ließe es sich auch herbstlich eingekuschelt auf dem Sofa lesen, aber ein Buch übers Reisen passt nun einmal perfekt ins Reisegepäck. Dieses zumal. Doch kein Pech.
Von Hamburg nach Shanghai ist Tina Uebel gereist, nicht mit dem Flugzeug (wäre dann ja ein dünnes Buch geworden), sondern mit Zügen. Durch - ein paar Länder rauschen unbeschrieben vorbei - Bulgarien, die Türkei, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Turkestan, Kasachstan nach China. Wäre sie nur von Nachtzug zu Nachtzug gehetzt, besäße das Buch sicher auch Charme, denn Uebel ist eine ergreifend wortgewandte und witzige Erzählerin. Aber sie ist ausgestiegen, in Teheran, Buchara, Almaty, Xi'an, hat Tango getanzt in Istanbul, hat die monumentale Architektur der in die kasachische Steppe geworfenen Hauptstadt Astana durchwandert, hat versucht, sich mit Plov anzufreunden, um dann doch dem chinesischen Wundertüten-Essen den Vorzug vor dem eintönigen Lammeintopf zu geben. Kurzum: Sie ist wahrhaftig gereist, und das mit solch großer Offenheit Menschen gegenüber ("ich ernähre mich am liebsten von Gesprächen"), dass es eine Freude ist, sie zu begleiten. Zumal Reisen für sie einen Zweck erfüllt: "Ich reise nicht, um meine Meinungen in die Welt zu tragen, sondern um mir ein paar neue und womöglich bessere zuzulegen."
Tango in Istanbul, Kreuzweh auf der Seidenstraße. Diese Frau ist wahrhaft gereist
Man verzeiht deshalb auch, dass die Reise vor sechs Jahren stattgefunden hat. Tina Uebel hat die Blogeinträge von damals mit Vor- und Nachwort versehen. Kam wohl nicht früher dazu, sie zu Papier zu bringen, die Frau ist viel unterwegs, kann man verstehen. Ist trotzdem schade, vor allem, was Iran betrifft. Denn das Land hat sich seit ihrem Besuch gewaltig verändert. Verschmerzen kann man es in den anderen Regionen. Und die Türkei hat momentan eh andere Sorgen als jene, dass die Züge Richtung Osten nicht mehr vom Bahnhof Haydarpaşa abfahren, den Tina Uebel noch in Betrieb erlebt hat.
Was das Buch im guten Sinn zeitlos macht, sind Uebels Gedanken übers Reisen an sich. Über den deutschen Reisepass zum Beispiel, der einem weltweit Tür und Tor öffnet, die "Gnade der geografischen Geburt", wie Uebel es nennt. Über Abschiede (unvermeidbar, will man weiterkommen), über das Alleinreisen an sich ("das Tollste, was es gibt, solange es einem gut geht") und das Alleinreisen als Frau im besonderen (witzig sind ihre Exkurse darüber, Spaß mit Männern zu haben, ohne am Ende mit ihnen im Bett zu landen).
Klar, ihren Witz muss man mögen. Zuweilen ist er derb: "Ich bin ein Geront unter Kindern!" - über die Begegnung mit Interrail-Backpackern. Und dass sie die Leser mit Fakten nicht überlädt ("Den Rest entnehme man bitte Wikipedia"), werden ihr nicht alle danken. Aber wer es lieber anders will, nehme halt einen Reiseführer ins Handgepäck.