Abenteuer:Kraft aus sich selbst

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Der Autor und Extrembergsteiger Reinhold Messner porträtiert den Antarktis-Fahrer Frank Wild, der 1916 die im Eis steckengebliebene Expedition Ernst Shakletons' vor dem Tod durch Erfrieren bewahrte.

Von Harald Eggebrecht

Die Geschichten der "Eroberung" von Nord- und Südpol haben zwar allesamt Heroisches, zutiefst Männliches, aber auch ein enormes Maß an Wahnsinn in sich. Unsägliche Strapazen, Schiffbrüche, selbstverschuldete Unglücksfälle, Leichtsinn und Gefahrenverkennung, dann Scheitern, heldenhaftes Sterben und darauf weltweite Bewunderung übermenschlicher Leistungen, von alldem strotzen die Berichte. Das reicht etwa von John Franklins Suche nach der Nord-West-Passage, Fridtjof Nansens Fahrt mit der Fram, Roald Amundsens Wettlauf mit Robert F. Scott zum Südpol bis auch zu Ernest Shackletons misslungener Durchquerung der Antarktis 1916, die fast im tödlichen Desaster geendet hätte. Doch Shackletons tollkühne Fahrt im offenen Boot von Elephant Island nach Südgeorgien und die fast unmögliche Rettung der Zurückgebliebenen unter Führung von Frank Wild machten diese Expedition so unsterblich, wie es einer geglückten wohl gar nicht geschehen wäre.

Reinhold Messner, gewiss der bedeutendste und erfahrenste Abenteurer unserer Tage und kundigste Kenner entsprechender Unternehmungen,hat sich in seinem Porträt des Frank Wild auf einen Mann konzentriert, der nicht wie Shackleton als geborener "Leader" auftrat. Vielmehr war Wild der Mann des Überblicks und der Weitsicht, der mentalen Unerschütterlichkeit und der unschätzbaren Fähigkeit, Vertrauen bei der Mannschaft zu gewinnen und in ihr zu wecken. So konnte er die 22 Männer über hundert Tage unter erbärmlichsten Bedingungen in Hoffnung und Mut halten.

Messner schildert eindringlich die irren Anstrengungen der Männer beim Gang über das Eis, aber auch den vielfarbigen Zauber und die gleichsam einen anspringenden Schönheiten der Antarktislandschaften. All das kennt er aus ureigenem Erleben. Auch von Verzweiflung und Todesangst weiß er, der davon oft bei seinen eigenen Wagemutigkeiten erzählt hat. Sicher, Dialoge sind Messners Sache nicht, aber er kann wirklich nächste Nähe zu Wild und den anderen herstellen, weil auch er all diese Schritte getan hat. So wird sein Frank Wild, der später, als sein Leben in der "Zivilisation" ins ziemlich Schäbig-Armselige kippte, sagte, die zehn Jahre in der Antarktis seien seine glücklichsten gewesen, zum leisen Helden des Überlebens, zum unaufdringlich zwingenden Vorbild, an dem sich die Männer aufrichten konnten. Doch das Geheimnis, woher Wild diese unglaubliche Seelenkraft hatte, kann auch Messner kaum lösen.

Reinhold Messner: Wild oder der letzte Trip auf Erden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 308 Seiten. 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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