Popkolumne:Alte Herren

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Die Popereignisse der Woche, dieses Mal mit dem Rapper Dendemann, der Musikzeitschrift Spex, den alten Herren von "The Who" und den auch nicht mehr ganz so jungen Burschen von den "Backstreet Boys".

Von Jens-Christian Rabe

(Foto: N/A)

Er ist unter den deutschen Rappern der gewitzteste Reimakrobat. Mit dem Hip-Hop-Duo "Eins, Zwo" und seiner unverkennbar verkratzten Stimme wurde der auch schon 44 Jahre alte Daniel Ebel alias Dendemann in den Neunzigerjahren bekannt. Sein neues Album "Da nich für!" (Vertigo/Universal) ist trotzdem erst sein drittes Soloalbum, das letzte mit dem schönen Titel "Vom Vintage verweht" erschien vor neun Jahren. In der Zwischenzeit war er aber nicht faul, sondern mehrte kongenial seinen Ruhm als musikalischer Leiter von Jan Böhmermanns Comedyshow. Der von manchem erwartete große Dendemann-Wurf ist "Da nich für!" nun aber nicht geworden. Der beste Wortspieler ist eben leider doch noch nicht der beste Rapper und schon gar nicht der zielsicherste Songwriter. Auch die Beats wirken seltsam uninspiriert in Vergangenheit und Gegenwart zusammengeklaubt, bisschen Trap-Narkose hier, etwas Oldschool-Wumms da. Anderseits sind da dann wieder Zeilen, die aus dem Stand so supersmart rund auf Punkt sind, das alles andere auch ganz egal ist: "Ich bin, ich bin - na, wie geht's denn weiter? / kein so tu als ob, nur als ob, nix dabei war / 'n klitzekleiner blitzgescheiter Geistesblitzableiter!" Wen kümmert schon Rap. Der größte lebende Wortspieler deutscher Sprache ist Dendemann!

Jeder darf noch mal Gute-Nacht-Küssen zum Ende der einst stilprägenden Musikzeitschrift Spex, deren nach 38 Jahren letzte Ausgabe gerade erschienen ist. Schön urspexhaft versnobt schreibt der Merkur in seiner Januar-Ausgabe gleich den gesamten Musikjournalismus der Gegenwart mit zurück ins Fanzine-Nirvana, aus dem er einst herausgekrochen kam: "Fiktion, Abstraktion, Rigorosität und Ironie (vier apokalyptische Reiter, die Spex einst legendär gemacht haben) wurden durch Leben, Persönlichkeit, Kitsch und die Prosa der Verhältnisse ersetzt. Dieser Popmusik-Journalismus betrachtet seine Gegenstände nie von einem Soll-Wert aus, sondern nimmt sie als selbstverständlich gegeben hin. Der Einzelfall und der Einzelne, die herausragende Persönlichkeit stehen im Zentrum. Man sitzt nicht nur am Schreibtisch, sondern immer auch im Tourbus. Im Interview darf man wieder dankbar sein, die Band zu kennen, einfühlsame Fragen stellen, manchmal sogar selbst ein wenig Pop sein. (. . .) Wenn man sie oder ihn dann endlich interviewen darf, was wollte man eigentlich fragen?"

(Foto: N/A)

So somnambul-beschwingt dahinnuscheln wie es der belgische Sänger und Songwriter Maarten Devoldere mal wieder tut auf dem neuen Album "Fever" (Pias) seiner Indie-Pop-Band Balthazar - ach, das können wirklich wenige. Man höre nur den Titelsong "Fever" oder "Phone Number" oder "I'm never Gonna Let You Down Again". Wie Leonard Cohen in seiner besten Zeit, nur nicht so feierlich-sakral, eher verkatert unter einer Discokugel liegend gesungen, wenn alle anderen Partygäste längst zu Hause sind.

Das Grundgesetz des Pop im mittleren Informationskapitalismus: Es hört nie auf und sie kommen alle zurück. Das "letzte Album" ist immer nur das letzte vor dem nächsten "letzten Album" und die "Abschiedstour" nur die Tour vor der nächsten "Abschiedstour". Derzeit arbeiten die notorisch zerstrittenen Pete Townsend und Roger Daltrey an einem Comeback-Album von The Who. Von Mai an gibt's dann - natürlich - eine Tour. Was man jetzt schon weiß: Es wird viel Geld bringen, weil man nirgends so bequem seine eigene Vergangenheit verklären kann wie auf einem Konzert der Helden von damals. Die Musikindustrie ist Nostalgieindustrie. Genau deshalb wird allerdings auch kein einziger neuer Song gut sein. Weil es darum nun wirklich schon lange nicht mehr geht. Gelungene Spätwerke wie die Alben, die Johnny Cash mit Rick Rubin in seinen letzten Jahren aufnahm, oder Dr. Johns "Locked Down" mit Dan Auerbach sind sehr, sehr, sehr selten.

(Foto: N/A)

Womit man beim neuen Album "DNA" (Sony) der quintessenziellen Boyband der Neunziger wäre: den Backstreet Boys. Konsequenter wäre es selbstverständlich schon seit einer guten Weile, wenn sie sich Backstreet Dads nennen würden. Das Video zur aktuellen Lead-Single "No Place" ist eine Art Kita-Bewerbungsvideo, alle Bandmitglieder zeigen, was für dufte Väter und Ehepartner sie sind. Mit einem kleinen bisschen Hilfe von einer stattlichen Horde von abgezockten Highscore-Pop-Songwritern und -Produzenten ist der Band mit "DNA" ein vollkommen generisches Album gelungen. Vom ersten bis zum letzten Takt unüberhörbar zeitgenössisch und komplett seelenlos. Fahrstuhlmusik für Fürsten der Finsternis im Feierabendverkehr.

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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