Pop:Der perfekte Hintergrund

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Die Konzerte des chilenisch-amerikanischen Laptop-Musikers Nicolas Jaar liefern alles, was die leicht ablenkbare Generation Multitasking braucht. Bei seinem Auftritt in Berlin dankte es ihm das Publikum durch zerstreute Zuneigung:

Von Jan Kedves

Man kann ein Konzert besuchen, um schlicht Musik zu hören. Man kann aber auch die Musiker, die dort auftreten, eher als Hintergrund-Show für alle möglichen anderen Betätigungen benutzen. Das Publikum, das sich am Freitagabend in der ausverkauften Berliner Columbiahalle bei dem chilenisch-amerikanischen Laptop-Musiker Nicolas Jaar eingefunden hatte, war ganz klar auf Letzteres aus.

Draußen vor der Halle hatte man noch fleißig Haschischzigaretten inhaliert, um drinnen dann zu einer großen, selig schielenden Liebessuppe zu verschmelzen, schmusendes Pärchen an schmusendem Pärchen. Zusätzlich diskutierte man aber auch sehr passioniert über verschiedene Männlichkeitskonzepte, versicherte sich gegenseitig der "Witzischkeit" von Jan Böhmermanns "Ich hab Polizei"-Video oder kontrollierte via Smartphone den Gebotsstand auf die schicke Bauarbeiterhose bei Ebay - und alles, während der 26-jährige Star des Abends, Sohn des chilenischen Installationskünstlers Alfredo Jaar, längst schon auf der Bühne stand. Gehüllt in einen stark blendenden, von hinten weiß angestrahlten Nebel, schickte Jaar zur Eröffnung zunächst einmal dreißig Minuten lang ein komplex unstrukturiertes Klanggebilde aus Quietsch- und Zwitschergeräuschen, Ambient-Orgeln, röchelnden Darth-Vader-Stimmen und Sirenengesängen über die Liebessuppe in der Halle.

Auf einmal kommen die ältesten Tricks der Rave- Geschichte zum Einsatz

Jaar ist nun niemand, der seinem Publikum Abgelenktheit verübeln würde. Er weiß sehr genau, dass seine Musik nie so ganz im Vordergrund steht. Als Star der hipperen Digital-Junkies aus der Generation Multitasking achtet der Produzent und Musiker sehr genau darauf, dass seine Stücke zwar raffiniert aus Versatzstücken von House, Jazz, Ambient, Drum'n'Bass und britzeliger Elektronik zusammengebaut sind, sich aber nie allzu sehr im Ohr verfangen. Deswegen eignen sie sich ja so gut, gehört zu werden, während man fünfzehn Browser-Fenster gleichzeitig geöffnet hält, leckeres Superfood zubereitet oder im Bett oder woanders alleine oder miteinander schläft.

Auf der Bühne zeigte Jaar dann möglichst wenig Regung, als wollte er die Aufmerksamkeit des Publikums nicht überstrapazieren. Er stand die ganze Zeit in besagtem Nebel, wobei nicht klar wurde, warum neben ihm ein Mikrofon aufgebaut war. Er benutzte es jedenfalls nicht zum Singen, auch wenn in manchen Stücken männlicher Gesang zu hören war. Das visuelle Spektakel überließ er ganz der aufwendigen Stroboskop-Anlage. Die Blitzstimmung wechselte nach 40 Minuten von Weiß auf Rot, nach einer weiteren halben Stunde plötzlich auf Blau. Untergrub er damit auf avancierte Weise Entertainment-Traditionen? Nicht ganz. Denn um seine Fans im zweiten Teil des Konzerts auch mal zu etwas euphorischeren Reaktionen zu animieren, bediente Jaar auf einmal auch die niedersten Instinkte mit den ältesten Tricks der Rave-Geschichte: Er drehte das Tempo nach oben, bis die Bassdrum ins Rasen geriet, er ließ die Subbässe anschwellen und schnitt so lange den Beat weg, bis die Vorfreude auf sein Wiedereinsetzen ins Unermessliche stieg. "Oi, oi, it's so fucking great!" schrien sie in der Halle und rissen die Arme nach oben.

Vielleicht war es das langweiligste Konzert aller Zeiten. Vielleicht aber auch das serviceorientierteste. Die dreitausendfünfhundert Fans in der Halle kamen jedenfalls gar nicht auf die Idee, frühzeitig zu gehen. Sie wollten sogar noch Zugaben hören.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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