Mediaplayer:Mein Einhorn und ich

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Ihr Einhorn wird heute zugestellt: Samuel L. Jackson, Brie Larson. (Foto: Netflix)

Wo Männer ständig den inneren Teenie rauslassen dürfen, wird es höchste Zeit für die Frauen, gleiche Rechte einzufordern: Brie Larsons Regiedebüt "Unicorn Store" läuft auf Netflix. Dieser Künstlerin ist noch einiges zuzutrauen.

Von Tobias Kniebe

Der Blick des Professors könnte verachtungsvoller nicht sein. Die Aufgabe des Tages war ein Selbstporträt. Die Studentin Kit hat Regenbogenfarben an die Wand gepinselt, reichlich silbernen und goldenen Glitzer darüber gestreut - und zum Schluss im Zentrum ihres Kunstwerks ein niedliches weißes Einhorn platziert. Die Kälte, die ihr danach entgegenschlägt, macht klar: Dies wird ihre letzte Aktion an der Kunstakademie sein.

Ähnlich kann man sich Reaktion der Filmzuschauer vorstellen, wenn sie realisieren, dass es in Brie Larsons Regiedebüt "Unicorn Store" (bei Netflix) tatsächlich um diese Art von Mädchentraum geht, der im weiteren Verlauf auch nicht ironisch gebrochen wird. Und dass das alles trotzdem kein Kinderfilm ist. Kit, von Brie Larson selbst gespielt, ist eine durchaus erwachsene Frau, die einfach ein wenig anders ist, als die ästhetischen Distinktionsregeln ihrer Altersgruppe es vorsehen. Deshalb muss sie in der Folge auch wieder bei ihren Eltern einziehen.

Was auf den ersten Blick abschreckend wirkt, ist hier cleveres Konzept: Man kann ja schlecht Diversität jeder Art feiern und die Menschen ermutigen, sich endlich zu ihrer ureigensten Identität zu bekennen, und dann eine Frau ablehnen, weil sie auf Glitzer, Regenbogenfarben und Einhörner steht. Diese Art Traumwelt mag zwar unterkomplex sein, ist aber auch nicht dümmlicher als große Brüste, dicke Waffen und Gangsta-Attitude - all jene Fantasien für erwachsene Jungs, die seit jeher als milliardenschwere Normalität der Entertainment-Industrie akzeptiert sind. Wo Männer ständig den inneren Teenie rauslassen dürfen, wird es höchste Zeit für die Frauen, gleiche Rechte einzufordern.

Brie Larson, die ein Geschöpf des amerikanischen Independentkinos und eine kluge Feministin ist, auch wenn sie gerade als "Captain Marvel" im gleichnamigen Disney-Blockbuster über die Leinwände fliegt, hat das sicherlich alles mitreflektiert, bevor sie ihre erste Regiearbeit in Angriff nahm. Vor allem aber ist sie, wie sie neulich im Interview erzählt hat (SZ vom 9. März), eine bekennende Tagträumerin. Darin gleicht sie Samantha McIntyre, die das Drehbuch geschrieben hat.

Wenn Kit nun ihre magisch-naiven Kinderzeichnungen wegräumt, ihren etwas zu fürsorglichen Eltern Arbeitswilligkeit vorspielt und einen öden Zeitarbeitsjob in einem Großraumbüro annimmt, passt sie sich zwar der Gesellschaft an, hat dem Glitzer aber innerlich noch keineswegs abgeschworen. Diese Lebenshaltung ist nicht einfach zu spielen, sie könnte in jedem Moment ins Lächerliche kippen. Larson schafft es aber, eine Balance zwischen großäugiger Verzauberungswilligkeit, trockener Komik und Indie-Schrulligkeit herzustellen.

Bald erhält Kit mysteriöse Postkarten, ganz persönliche Einladungen in den "Store". Der schäbige Eingang führt zu einem nüchternen Lastenaufzug, und der fährt dann ganz von selbst hinunter in das weitläufige, plüschige Reich von Samuel L. Jackson. Der stellt sich als Verkäufer vor, der ganz persönliche Träume erfüllt, und enthüllt Kit, dass sie ein echtes, lebendes Einhorn bekommen wird - sobald sie wirklich bereit dafür sei. Jackson spielt das so, dass es einerseits sehr komisch ist, lässt aber durchaus die Möglichkeit offen, alles wörtlich zu nehmen. Kit jedenfalls beschließt, ihm zu glauben. Die Herausforderung, dann auch vor ihren Eltern und anderen Menschen zu diesem Glauben zu stehen, und Verbündete zu finden für den Stallbau und weitere Vorbereitungen zur Ankunft des Einhorns, wird ihre ganz persönliche Bewährungsprobe.

Die Preisfrage, ob am Ende tatsächlich ein Einhorn auftaucht, darf an dieser Stelle natürlich nicht aufgelöst werden. Es stellt sich aber, so oder so, eine gewisse Verzauberung ein, scheinbar ohne größere Anstrengung von Seiten der Filmemacher. Brie Larson hat ihren Glauben daran, dass man gar nicht verlieren kann, wenn man wirklich zu seinen Tagträumen steht, irgendwie auf ihr ganzes Team übertragen. Nach diesem Debüt ist ihr noch einiges zuzutrauen. Der Film selbst taugt am Ende als Beweisstück für ihre These. Er erinnert an frühere Zeiten im Kino, als das Träumen noch geholfen hat, die Geschichten manchmal simpel waren und die Mittel sehr einfach sein durften, solange sie nur mit dem richtigen Enthusiasmus eingesetzt wurden.

Unicorn Store läuft seit 5. April auf Netflix.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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