Liebesfilm:Allein unter Frauen

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Die belgische Schauspielerin Pauline Burlet als Violette in „Das Mädchen, das Lesen konnte“. (Foto: Filmkinotext)

Ein Liebesmelodram à la francaise: "Das Mädchen, das lesen konnte" erzählt von einem Dorf in der Provence, dem durch den Krieg 1851 die Männer ausgehen.

Von Kathleen Hildebrand

Frankreich, Dezember 1851, ein abgeschiedenes Bergdorf irgendwo in der südfranzösischen Provinz. Napoleon, der Neffe von Napoleon I., wurde zum Staatspräsidenten gewählt und stürzt nun die französische Republik. Er will sich zum Kaiser Napoleon III. krönen lassen. Vorher sichert er aber erst einmal seine Herrschaft. Weil es in der Provence Aufstände gibt, lässt er alle Männer des Dorfs verhaften. Am Tor zur Straße ruft einer von ihnen "Vive la république!" und wird sofort erschossen. Die Frauen des Dorfs bleiben allein zurück, und in der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts ist das nicht bloß ein Anlass für feministisches Empowerment, sondern richtig harte Arbeit. In den folgenden Monaten reparieren die Frauen im Starkregen kaputte Scheunendächer und nehmen für die Getreideernte selbst die Sense in die Hand.

Die französische Regisseurin Marine Francen inszeniert in ihrem Langfilmdebüt eine sehr interessante Versuchsanordnung. Was passiert, wenn von heute auf morgen die Männer weg sind? Neben den pragmatischen Konsequenzen und der Sorge der Frauen um ihre Männer geht es ihr vor allem darum, das körperliche Begehren der Frauen zu zeigen, dem plötzlich die Zielobjekte fehlen. Auch um den Fortbestand des Dorfs zu sichern, schließen sie in der Hitze eines Erntetags einen Pakt: Sollte je wieder ein Mann den Weg in ihr Dorf finden, dann werden sie ihn sich teilen. Der nur gerade so zweideutige Originaltitel des Films lautet "Le semeur", der Sämann.

Natürlich taucht nach Monaten des Darbens ein schmucker, handwerklich fähiger Bärtiger auf. Er und die junge Violette verlieben sich. Die Tatsache, dass die beiden als einzige im Dorf lesen können, prädestiniert sie dazu. Wenn die Erntearbeit getan ist, schwelgen sie bei Kerzenlicht in den Romanen von Victor Hugo. In der revolutionsromantischen Logik des Films sind Violette und Jean die Franzosen der Zukunft: gebildete und deshalb mündige und freie Citoyens, die die Post-Putsch-Herrschaft von Napoleons Neffen am liebsten gleich wieder einhegen will.

Mit dem Beginn dieser halb bukolischen, halb intellektuellen Liebesgeschichte wird "Das Mädchen, das lesen konnte" dann leider so vorhersehbar wie der Zyklus der Landwirtschaft. Natürlich gefährdet ihre innige, monogame Verliebtheit den Pakt der Frauen. Erst werden die anderen, dann wird Violette eifersüchtig. Natürlich spielen die verschleppten Männer des Dorfs später noch eine Rolle und natürlich hat auch der empfindsame Sämann Jean ein dunkles Geheimnis, das gelüftet werden muss. Diese Vorhersehbarkeit schmälert das Vergnügen an "Das Mädchen, das lesen konnte" ein wenig, gibt der Geschichte aber auch eine Schicksalhaftigkeit, die gut in die isolierte Welt dieser bäuerlichen Gemeinschaft passt, die plötzlich von den politischen Zeitläuften erfasst wird. Außerdem erzählt Marine Francen das alles vor so wunderbar sinnlichen, idyllischen Landschaften, dass man sich der spannungsarmen Gemächlichkeit gern fügt. Im Hintergrund zirpen die Zikaden in der schwirrend heißen Luft eines provenzalischen Sommers.

Le semeur , F 2017 - Regie: Marine Francen. Buch: Marine Francen, Jacques Fieschi, Jacqueline Surchat, Violette Ailhaud. Mit: Pauline Burlet, Alban Lenoir. Film Kino Text, 100 Minuten.

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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