Konzert:Zum Feiern nach Bayern

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Wenn Udo Lindenberg mal seine Sonnenbrille abnimmt, blickt er seine Besucher aus erstaunlich kleinen, hypnotischen Augen an. (Foto: Tine Acke)

Udo Lindenberg kommt in die Olympiahalle und erinnert sich an unvergessene Momente in Icking

Von Michael Zirnstein, München

Man ist sofort daheim in Udo Lindenbergs Hotelzimmer. Auch wenn es nicht das Zuhause-Zimmer des Dauergastes im Hamburger Hotel Atlantic ist, sondern eine Suite für eine Nacht im Bayerischen Hof in München. Vom Besuch zuvor stehen Gläser mit Eierlikör herum. Der Gastgeber bietet sofort einen an. So legendär es sein könnte, mit Udo einen auf dem Hotelzimmer gekippt zu haben, so lehnt man doch angesichts der nur angenippten Reste ab. "Hast Recht, schmeckt eh nicht", sagt Lindenberg. Er habe ja auch "von der Sauferei umgestellt auf Kräuterwissenschaften".

All seine Markenzeichen wirken vertrauensbildend: der Hut, die Weste, die breite Sonnenbrille, die giftgrünen Socken, der Zigarrenstumpen, der die Luft im Zimmer eingedickt hat. Und vor allem die Stimme des "Erfinders der Coolness", die sich weniger faul dahinfläzt als sie sich lässig breit macht und ein schnutiges "is'schongut" aussendet. "Ich hoffe, ich nuschel nich' so", sagt Udo und schiebt fast entschuldigend nach: "das is' halt so mein Trademark." Wie er es sagt, ist das eine, genauso unverwechselbar ist, was er sagt. Etwa, was er über die Phase, als er weg war vom Fenster, zusammendichtet. Ein Auszug: "Ich war zehn Jahre lang als besoffener Suchhund unterwegs in den Katakomben der Erleuchtung, im Trinkerkeller der Erweckung der Erkenntnis, weit rausgeschwommen im Whisky-Ozean, durch weite Wüsten gewandert auf der Suche nach Worten, die man auf der Straße nicht kaufen kann."

Oft kopiert, höchstens von Helge Schneider erreicht, macht dieser "Lindyismus in Reinform" sein 35. Album "Stärker als die Zeit" zu einem, das schon immer da zu sein scheint. Lindenberg ist in der Stadt, um diese erste Studioplatte seit seiner Auferstehung mit "Stark wie zwei" vor acht Jahren zu bewerben. Was kaum nötig ist, zum zweiten Mal in seiner Karriere ist er damit auf Platz eins gelandet, hat binnen 100 Verkaufsstunden Platin-Status erreicht, vom Rolling Stone zu den Tagesthemen gratulieren eh alle dem Großpapa des Deutschrock gerade zum Siebzigsten. Lindenberg for Bundespräsident? Die Mehrheit wäre dafür. Immerhin hat er "ein paar Impulse für die Wiedervereinigung gegeben", sagt er. Er glaubt noch an die politische Zauberkraft der Liedermacher: "Wir Sänger können eine Sensitivität erschaffen. Wir können mit Rock gegen Rechts die bunte Republik stützen." Er will Deutschland "zu einem fairen Ort" machen, und Europa, und die ganze Welt.

In München, muss man leider sagen, läuft das etwas schleppender. Die "Keine Panik!"-Tournee startete er vor drei Jahren im Westen und zog weiter in den Osten. "Wir wussten: Da geht es total ab. In München waren wir uns einfach nicht sicher, wir waren das letzte Mal 2006 hier." Jetzt endlich, nach einer halben Million Konzertbesuchern, kommt die ganze Panikfamilie "zum Feiern nach Bayern", nicht ins Stadion, aber immerhin zwei Mal 180 Minuten lang in die Olympiahalle (und am 18. Juni nach Nürnberg).

Er sei wirklich gern in München. Sein Bruder Erich hat hier an der Akademie der Bildenden Künste gelehrt; der Kunstsinn liegt in der Familie, ob Udo alias "der Stricher von St. Pauli" nun Bilder fürs Kanzleramt zeichnete, "Likörelle" mit gefärbten Spirituosen malte, mit einem "Ejakulator"-Schlagzeug Leinwände vollspritzte oder sich vom Theaterregisseur Peter Zadek das Bühnenbild gestalten ließ.

Früher war Lindenberg jeden Sommer in München, auch um aufzunehmen. Sogar die Berlin-Reunion-Hymne "Sonderzug nach Pankow" habe er "in so einem Schwabinger Keller" produziert, "Hinterm Horizont", "Ich lieb' dich überhaupt nicht mehr" und viele Klassiker.

Peter Maffay wohnt hier, mit dem er heute über alles reden könne. Heute sei alles cool mit seinem Kumpel, früher sei das hitziger gewesen, Maffay habe die selben Musiker haben wollen wie er im Panikorchester. Apropos Musiker, ob er noch Kontakt habe zu seinem ehemaligen Gitarristen Paul Vincent Gunia, der auch noch in der Gegend lebt und schafft? "Ach, der Paul, den müsste ich auch mal wieder treffen", meint Lindenberg da, und erzählt, wie er ihn kennen gelernt habe: Er, im Renault 4, habe ihn, im klapprigen VW-Bulli, überholt auf der Autobahn - beide Richtung München, versteht sich: "Weil in München passierte es 1970, da war die ganze Action: Hendrix, Doldinger und so."

Lindenberg war damals Mitte 20, ein begabter Trommler. Das wusste auch Klaus Doldinger, der heißeste Jazzer des Landes, "Oberliga". Der rief den zehn Jahre Jüngeren zu sich. "Unvergesslich", sagt Lindenberg, "er sagte: Komm doch mal rüber. Da bin ich nach Icking, hab mein Schlagzeug aufgebaut in seinem Wohnzimmer, und nur ich und er mit seinem Saxofon haben uns da fünf Stunden lang aufgespürt, so unsere Temperamente ausgeleuchtet, also alles, was du mit der Musik sagen kannst, und schreien kannst, und weinen kannst. Und er so: Okay, du bist in der Band." Lindenberg trommelte in der Passport-Urbesetzung und auch zur "Tatort"-Titelmelodie. "Ich habe sehr viel gelernt von Klaus über Produktion, Filmmusik, Genauigkeit. So konnte ich später meine ersten Platten selber produzieren." Man merkt, wie dankbar er Doldinger noch ist. Sie hätten gerade erst telefoniert. Und auf dem Album zu Doldingers Achtzigstem hat Lindenberg freilich auch gesungen: "Der Greis ist heiß."

Ein Greis ist Lindenberg noch lange nicht, auch wenn er "kein guter Bodyguard" für sich war. Er werde gleich um Mitternacht die Isar entlang joggen, "die Kondition brauchst du für die Riesenbühnen", sagt er und setzt seine Sonnenbrille ab. Er blickt aus erstaunlich kleinen, hypnotischen Augen und sagt: Als Bowie und Lemmy mit 69 gestorben seien, habe ihn das freilich nachdenklich gemacht. "Aber nachdenklich war ich schon mit 27." Alles gut gegangen, irgendwie, jetzt habe er "gute Chancen auf den Club der Hundertjährigen". Dem Sensenmann sei er nach seinem Herzinfarkt noch mal davongelaufen, oder wie er ihm in "Wenn die Nachtigall verstummt" zu nölt: "Oh, ich sag, ich muss hier noch singen, das Mikro wie'n Lasso schwingen. Jetzt aufhör'n wär'n schlechter Gag, sorry, ich kann hier echt noch nicht weg."

Udo Lindenberg , Di. und Mi., 24. und 25. Mai, Olympiahalle, 21 83 73 00

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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