Kino:Einübung in das helfende Leben

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Szene aus der Pflegeschule des Hôpital de la Croix Saint-Simon, eingefangen von Nicolas Philibert. (Foto: Verleih)

Junge Franzosen beim Erlernen des Pflegeberufs - Nicolas Philibert hat die bewegende Doku "Zu jeder Zeit" gemacht.

Von Doris Kuhn

Man denkt, man weiß, wie Händewaschen geht. Dann sieht man die erste Einstellung des Dokumentarfilms "Zu jeder Zeit": Hände werden eingeseift, jeder Zwischenraum der Finger wird bedacht, mehrmals werden sie abgespült, umgedreht, abgetropft. Händewaschen in sieben Stufen heißt der Vorgang, und man merkt, dass man selber vom richtigen Händewaschen, wie es in Krankenhäusern und Pflegeheimen Pflicht ist, weit entfernt ist.

Die Szene ist exemplarisch für "Zu jeder Zeit". Der Film von Nicolas Philibert öffnet dem Zuschauer die Augen für Dinge, die er zu kennen glaubt, aber nie genau angesehen hat. Dabei macht Philibert nichts anderes, als seine Kamera auf die Schüler in der Pflegeschule des Hôpital de la Croix Saint-Simon östlich von Paris zu richten. Er folgt ihnen bei ihrer Ausbildung in der Krankenpflege. Er beobachtet, ganz klassisch, kommentarlos. Er schweift nicht ab. Er bleibt nah an den Personen, wenn er den Unterricht, die Lehrer, das Neue filmt, das über sechs Semester an die Auszubildenden herangetragen wird. Dadurch, dass diese jeden Handgriff ihres Berufs zum ersten Mal selber ausführen müssen, egal ob es darum geht, dass sie Betten machen oder Spritzen aufziehen, bekommt man auch als Zuschauer diese Perspektive des ersten Mals. Genau das ist die Rarität, denn sofort wird der Gedanke erschüttert, dass etwas, das leicht aussieht, auch leicht geht.

"Zu jeder Zeit" erinnert daran, wie es sich anfühlt zu lernen: An die leichten wie die schweren Momente, in denen man sich ein Wissen oder ein Handwerk aneignet. Wobei die Pflegearbeit nicht nur darin besteht, Theorie zu büffeln, sondern den Umgang mit Menschen fordert. Man muss reden, muss die richtigen Fragen finden, um den Patienten zu helfen. Man muss andere Menschen anfassen, das ist auch nicht einfach. Die Auszubildenden üben mal an Puppen, mal miteinander, wie sie möglichst pannenfrei Spritzen geben, Blutdruck messen, Kranke oder deren Angehörige beruhigen. Es wird viel gelacht in den Arbeitsgruppen, was nicht darüber hinwegtäuscht, dass ein wenig Angst vor der Praxis herrscht - Patienten sind Menschen, also schwer einzuschätzen in ihrem Verhalten. Auch deren Reaktionen werden dann manchmal gezeigt, aber die meisten nehmen es mit Humor, wenn die Schüler noch keine Perfektion an den Tag legen.

Nicolas Philibert hat schon Filme über Schulen, Museen, die Psychiatrie gemacht. Er gehört zu den Regisseuren, die wissen, wie man an die Menschen, die ins Bild sollen, sensibel genug herangeht, um sie nicht zu verschrecken. Im Gegenzug geben diese so viel von sich preis, dass man seinen Dokumentationen gebannt folgt. Daran hat sich in seinem aktuellen Film nichts geändert.

Philibert sucht sich wie so oft ein Thema, an dem man vordergründig nicht viel Spannendes erkennt, dann beweist er das Gegenteil. "Zu jeder Zeit" gliedert er in drei Teile, orientiert am Unterricht: Erst die Übung unter sorgfältiger Anleitung, dann die Arbeit im Krankenhaus unter dem Druck von Lärm, Hektik, Vorgesetzten. Zum Schluss, während die Auszubildenden ihren Semesterbericht ablegen, zeigt er die Veränderung, die mit der zunehmenden Erfahrung an ihnen sichtbar wird.

Durch die Nähe, die der Film herstellt, entsteht sowohl für die Protagonisten als auch für ihren Beruf eine große Sympathie. Philibert redet nicht über schlechte Bezahlung, viel Verantwortung, schwere Last, all das, was in Verbindung mit Pflegeberufen oft thematisiert wird. Die Höhen und Tiefen kann man hier ganz gut selber sehen. Stattdessen weckt er die Aufmerksamkeit des Zuschauers, der plötzlich merkt, dass er einer zivilisatorischen Errungenschaft beiwohnt: Er sieht die Freude an einem Berufsstand, der als Grundlage die Nächstenliebe hat.

De Chaque Instant , Frankreich 2018 - Regie, Buch und Kamera: Nicolas Philibert. Mindjazz Pictures, 105 Minuten.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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