Computerspiel:Schöne neue Welt

Lesezeit: 3 min

Der jüngste Teil von "Anno 1800" versetzt die Spieler in ein prächtiges 19. Jahrhundert mit Schiffen und Fabriken. Aber war da nicht noch mehr? Sklaverei zum Beispiel?

Von Vanessa Prattes

Das Schiff sticht in See, sein Ziel sind Inseln in der neuen Welt. Die Stimme eines alten Seemanns ertönt, eine Aufforderung an den Spieler: "Expandiere die Welt, sammle exotische Tiere für den Zoo oder Exponate für das lokale Museum!" Was nach einer Anleitung zum Sammeln von Raubkunst klingt, ist Bestandteil des Strategie-Computerspiels "Anno 1800", dessen Spielkosmos in Alte und Neue Welt geteilt ist. In prachtvoller Grafik entstehen Städte, Kolonien und Handelsrouten nach historischen Vorbildern. Aber "Anno 1800" verliert kein Wort über die transatlantische Sklaverei und beschönigt den Kolonialismus. Das stieß auf Kritik. Die "Anno"-Computerspiele waren schon im Spätmittelalter, in der Zukunft oder im frühen 18. Jahrhundert angesiedelt und sind eine der erfolgreichsten deutschen Computerspielreihen. "Anno 1800" ist laut Publisher Ubisoft der am schnellsten verkaufte Teil der Aufbaustrategiereihe. In der ersten Woche nach Erscheinen Mitte April sei "Anno 1800" viermal so oft verkauft worden, wie der letzte "Anno"-Teil ("Anno 2205") im gleichen Zeitraum. Konkrete Zahlen sind allerdings nicht bekannt. Zweifellos aber kommt das historische Setting bei den Spielern gut an. Und das bringt Verantwortung mit sich. "Das Problem ist, dass Anno im Grunde nur darauf basiert, Warenketten zu optimieren", sagt Felix Zimmermann, Historiker des Arbeitskreises Geschichtswissenschaft und digitale Spiele. Die akkurate historische Simulation sei eine Abwägungsfrage der Entwickler. Sie blenden aus, was nicht in die heile virtuelle Welt passt. "Es gibt einen starken Fokus darauf, was Spieler haben wollen, heißt: eine Wohlfühlatmosphäre, die ein entspanntes Bauen, ohne Störungen ermöglicht", erläutert Zimmermann. Die Erwähnung der Sklaverei sei bei der Entwicklung diskutiert worden, sagte Senior Creative Director Dirk Riegert in einem Interview. Das Thema lasse sich aber " spielmechanisch schwer umsetzen - und moralisch ohnehin." Sklaverei sei ein sensibles Kapitel der Geschichte, man wolle den Spieler nicht zum Sklavenhalter machen, sagte Riegert. Dass aber die Auseinandersetzung mit der Sklaverei durchaus Eingang in Computerspiele finden kann, zeigt sich in dem Globalstrategiespiel "Stellaris", in dem ganze Planeten versklavt werden können. Infolge der Versklavung verlangsamt sich jedoch die Forschungsrate erheblich, was wiederum einen intellektuellen und wissenschaftlichen Rückgang der Nation herbeiführt. Auch im historischen Strategiespiel "Total War: Rome 2" spielt Sklaverei eine ambivalente Rolle. Nach gewonnenen Schlachten können gegnerische Einheiten versklavt werden und in eigene Armeen integriert werden. Dadurch wird das Bruttoinlandsprodukt gesteigert, doch riskiert der Spieler negative Moral unter den Soldaten und gesellschaftliche Unruhen. Auf die Konflikte der Industrialisierung verzichtet "Anno 1800" nicht vollständig. Während der Spieler die Zuckerrohrplantagen für die Rumproduktion auf der neu besiedelten Insel ausbaut, kann es in der alten Welt zu einem Arbeiteraufstand kommen. Zwar können die Arbeiter kurzfristig in der Fabrik zu Mehrarbeit gezwungen werden, jedoch kann dies zu Streiks und Aufständen führen, die von der Polizei unterbunden werden müssen. "Du kannst die Leute ausbeuten, solange sie von der Polizei niedergeknüppelt werden", erklärt Zimmermann die Spiellogik. Die Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter präsentiert sich als Klassenkampf zum Nachspielen.

Mehr als drei Millionen Inseln seien in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung besiedelt worden, verriet Ubisoft. Da die Alte Welt zunehmend mehr Rohstoffe benötigt, ist eine imperialistische Expansion und damit die Errichtung eines weitverzweigten Inselreichs unabdingbar. Die Rohstoffe der Neuen Welt werden für die Bevölkerung der Alten Welt ausgebeutet. Nach der Annektierung werden Europäer angesiedelt und die gesichtslose, indigene Bevölkerung gerade kolonisierter Inseln wird sofort in sogenannte Jornaleros, Tagelöhner, und Obreros, Arbeiter, aufgeteilt. Der Begriff der Zwangsarbeiter wird in keinem der Kolonialisierungsprozesse verwendet.

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Zimmermann hält den in dem Spiel dargestellten Umgang mit Kolonien für höchst problematisch, denn eine historische Einordnung findet nicht statt. Er fordert den Dialog von Historikern und Entwicklern, um die Simulation nicht auf schöne Bilder und Geschichten zu reduzieren. "In populären Spielen sollte ein kontextualisierendes Glossar miteingebaut werden." "Anno 1800" sei nicht das Abbild einer Epoche, sondern eine spielerfreundliche Deutung derselben durch die Entwickler. Mit imposanten Segelschiffen, erschöpften Arbeitern verschiedener sozialer Schichten und nebelverhangenen Fabriken suggeriert das Spiel historische Authentizität und eine gewissermaßen schmerzfreie Industrialisierung. Von Themen wie Kolonialismus oder Sklaverei darf dieses Bild nicht getrübt werden.

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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