Berliner Theatertreffen:Martialisch aufmarschierende Männerchöre auf riesigen Scheiben

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Zum Theatertreffen eingeladen: "Dionysos Stadt" wurde im Oktober unter der Regie von Christopher Rüping in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. (Foto: © Julian Baumann)

Das Berliner Theatertreffen lädt die wichtigsten Inszenierungen der Saison ein. Diesmal dabei: ein zehnstündiger Antiken-Marathon und Klassiker im Netflix-Stil.

Von Christine Dössel

Welche zehn Inszenierungen kommen im Mai zum Berliner Theatertreffen? Die Spannung in der Szene ist jedes Mal groß, und es laufen Wetten, bevor die Juroren Anfang des Jahres ihre Auswahl verkünden. Schließlich ist die Berliner Best-of-Schau das wichtigste und prestigeträchtigste Festival der Branche. Eingeladen werden die nach Meinung einer siebenköpfigen Kritiker-Jury zehn "bemerkenswertesten" deutschsprachigen Inszenierungen des zurückliegenden Jahres, wobei die Vokabel "bemerkenswert" frei interpretierbar und die Einladung selbst schon die Auszeichnung ist. Dabeisein ist alles. Wer dabei ist, ist in. Nominierungen schmücken die Häuser, beschleunigen Regiekarrieren und geben den Intendanten nicht zuletzt einen Trumpf gegen die Politik in die Hand.

Am Mittwoch war es wieder so weit. Die Theatertreffen-Jury gab nach Sichtung von 418 Inszenierungen in 65 Städten ihre Voten bekannt. Gewohnheitsgemäß setzte sofort ein Gemäkel ein. Spinnt die Jury? Warum ist Milo Rau nicht dabei, warum nicht der "Volksfeind" vom Residenztheater München?

Warum so viele Koproduktionen? Wo bleibt der Osten, wo die Provinz?

Warum so viele Koproduktionen? Wo bleibt der Osten, wo die Provinz? Nein, halt - der Ost-Vorwurf trifft diesmal nicht zu. Vom Staatsschauspiel Dresden sind ungewöhnlicherweise gleich zwei Produktionen eingeladen, zwei Roman-Adaptionen, wie sie für das Gegenwartstheater bezeichnend (und für Dresden eher ein Wagnis) sind: "Erniedrigte und Beleidigte", sehr frei und wild nach Dostojewski inszeniert von Sebastian Hartmann. Und Ágota Kristófs "Das große Heft" in der Monumentalregie von Ulrich Rasche, dessen Markenzeichen martialisch aufmarschierende Männerchöre auf riesigen Scheiben oder Laufbändern sind. Mit seiner technisch wie sprachlich imposanten Chor-Ästhetik bringt Rasche einen ganz neuen Ton und eine formale Strenge ins Theater der Ich-Exzesse. Auch seine "Perser"-Inszenierung, die 2018 bei den Salzburger Festspielen herauskam, wäre für Berlin ein würdiger Kandidat gewesen.

Generell fällt ein Zug ins Große auf. Es sind gewaltige, bildstarke Entwürfe, die die Auswahl prägen, oft mit dem Konzept der Auflösung einer konsequent narrativen Erzählung bis hin zum Fragmentarischen. Auch der Trend, alte Stücke zeitgenössisch zu "überschreiben", schlägt sich nieder. In "Hotel Strindberg", einer Co-Produktion des Wiener Burgtheaters mit dem Theater Basel, zeigt der Regie-Überflieger Simon Stone streitende Paare im Erzählstil einer Netflix-Serie. Die Inszenierung spielt in einem mehrstöckigen Hotelkasten mit vielen Zimmern, in denen Szenen synchron ablaufen. Spektakulär auch das Bühnenbild, in dem der junge Regisseur Ersan Mondtag in Dortmund seine systemische Schreckensvision "Das Internat" spielen lässt. Die wohl tollkühnste und mit zehn Stunden Dauer definitiv längste Produktion kommt von den Münchner Kammerspielen: "Dionysos Stadt". Der Antiken-Marathon von Christopher Rüping spielt sich durch Zeiten und Stile und feiert Theater als Fest.

Und die Frauen? Sind mit Inszenierungen von Anna Bergmann, Claudia Bauer und dem überwiegend weiblich besetzten Performance-Kollektiv She She Pop natürlich wieder in der Minderheit. Auch insofern spiegelt das Theatertreffen den State of the Art.

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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