Werkstatt:Weihnachten in Moskau

Russland-Korrespondentin Silke Bigalke erklärt, warum den meisten Russen Silvester wichtiger ist als Heiligabend.

Von Silke Bigalke

Nach Silvester über den Weihnachtsmarkt zu schlendern fühlt sich seltsam an, doch mit dieser Meinung stehe ich in Moskau ziemlich allein. Das Gedränge auf dem Roten Platz ist groß, es geht schon vorher mit Wellenbrechern und Metalldetektoren los, und auch der Markt selbst ist mehr Rummel als besinnlich: Man kann sich mit Väterchen Frost fotografieren lassen und Karussell fahren. Ich war im Advent schon mal da, damals herrschte Leere zwischen den Buden. Advent und Heiligabend sagen den meisten Russen nicht viel. Für sie geht es erst an Silvester richtig los, dann schmücken sie ihren Tannenbaum und packen Geschenke aus. Kurz vor Mitternacht spricht der Staatspräsident auf allen Kanälen zum Volk. Die Russen glauben, dass das neue Jahr so wird, wie es anfängt - bei mir knietief im Schnee vor einer Datscha. Mit Sekt und Wunderkerzen in der Hand und einem Tablet für die Präsidentenrede warten wir auf Mitternacht.

Orthodoxe Russen feiern Weihnachten am 7. Januar. Ihre Kirche steckt in der Krise, weil sich die Ukraine eine von Moskau unabhängige orthodoxe Kirche wünscht. Ausgerechnet am Tag vor Weihnachten soll diese das entsprechende Statut erhalten. Den Zustrom zur Messe in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale wird das kaum mindern, selbst wenn der Gottesdienst mehrere Stunden dauert und die Gläubigen stehen müssen.

Zwei Wochen später werden viele zum Epiphaniasfest ins eiskalte Wasser springen, etwa in die gefrorene Moskwa, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Na ja, man muss nicht alles mitmachen.

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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