Gab es eine journalistische Situation, die Sie an Ihre Grenzen gebracht hat?
Christian Albrecht, Hermsdorf
Auf meiner ersten Auslandsreise recherchierte ich zu syrischen Kinderbräuten in Libanon. Dort traf ich geflüchtete Familien im Bekaa-Tal, sie harrten auf Matratzen in Nylonzelten aus, ihr Blick war stets auf die Gebirgskette gerichtet, hinter der sich ihre kriegsgeplagte Heimat verbarg. Die Nächte waren kalt, die Böden schlammgetränkt. Ich traf dort junge Mädchen, 15 Jahre alt, mit Babys in den Armen. Bei Matetee erzählten sie mir von ihren Missbrauchserfahrungen. Sie waren gezwungen, alte libanesische Männer zu heiraten, da ihre Familien nach der Flucht nicht mehr für sie sorgen konnten.
Häufig waren sie wieder geschieden, bevor das Baby laufen konnte. Die Männer wollten Sex, die Frauen Sicherheit. Bei der zweiten Tasse Tee erzählte mir eine der beiden Schwestern ganz aufgeregt, dass sie gerade einen neuen Mann kennenlernt. Sie zeigte mir ein Bild von ihm: ein Mann mit Schnauzer, lässig auf ein Lenkrad gestützt. Bald werden sie heiraten, sagte sie, während sie ihr Baby aus erster Ehe in den Schlaf wog. Bei den Eltern zu bleiben, vielleicht sogar in die Schule zu gehen? Dies sei keine Option für Geflüchtete, sagte sie.
Es wäre in so einer Situation ein Leichtes gewesen, die Eltern für das Leid ihrer Kinder verantwortlich zu machen, aber bei all der Ausweglosigkeit und der Überforderung, wagte ich es nicht, ein Urteil zu fällen. Der Blick eines syrischen Vaters, der seine Tochter nach drei Monaten Ehe wieder bei sich aufnahm, geht mir nicht aus dem Kopf. Er schämte sich für seine Arbeitslosigkeit, seine Armut, sein Versagen. Er dachte ernsthaft, er würde seiner Tochter ein besseres Leben ermöglichen, wenn er sie früh verheiratet. Mittlerweile begleitet er seine Tochter von Zeltstadt zu Zeltstadt, damit sie andere syrische Familien vor der Kinderehe warnt.
Als Journalistin im Ausland unterwegs zu sein lässt einen häufig demütig zurück. Und man ärgert sich über einige Debatten in der Heimat. Als ich nach der Ermordung des saudi-arabischen Publizisten Jamal Khashoggi nach Saudi-Arabien reiste und nahezu alle Protagonisten darum baten, mit anderen Namen zu erscheinen, debattierte man in Deutschland gerade über die vermeintlich zu engen Grenzen der Meinungsfreiheit.
Wenn in Europa über islamistischen Terror gesprochen wird, geht häufig unter, dass die meisten Opfer Muslime sind. Sie leben in Afghanistan, Syrien, im Irak oder in Pakistan - und schaffen es nur selten auf die Titelseite. Ich erinnere mich da etwa an eine Geschichte aus Jordanien. Dort traf ich die Eltern von Moath al-Kasasbeh, einem jungen Piloten der Anti-IS-Koalition, der von IS-Terroristen bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Die Mutter sprach während des Interviews nur wenig, bald zog sie sich zum Beten zurück. Als sie zurückkam, sagte sie: "Ich wünsche mir, dass Gott mich bald zu sich nimmt. Ich vermisse meinen Sohn so sehr." Solche Momente machen einem bewusst, dass das Leid viele Gesichter hat. Und diese Erkenntnis bringt mich immer wieder an meine Grenzen. dura