SZ-Werkstatt:Warum diese Floskeln?

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Zum Anlass des 75. Geburtstags der Zeitung haben wir viele grundsätzliche Fragen unserer Leserinnen und Leser gesammelt, die wir in dieser Rubrik beantworten und Einblicke in den Arbeitsalltag geben.

Warum beginnen manche Absätze mit dem unnötigen Spruch "Aber der Reihe nach ..." oder ähnlichen Floskeln? Da ist dem Autor wohl keine sinnvolle Verbindung zum vorigen Absatz eingefallen. Reinhard Weiß, Eichenau

Schopenhauer hatte von den Journalisten keine sonderlich gute Meinung. Was ihren Umgang mit Floskeln angeht, so sagte er von der "Schreiberei der Alltagsköpfe", sie sei "wie mit Schablonen aufgetragen" und bestehe "aus lauter fertigen Redensarten und Phrasen". Wer zu solchen Kunstmitteln greife, verrate "seine Armut an Gedanken, Geist und Kenntnissen". Aber der Reihe nach.

Genau diese Floskel steht nun im Verdacht, dafür herhalten zu müssen, dass den Autoren "keine sinnvolle Verbindung zum vorigen Absatz eingefallen" ist. Stimmt der Verdacht, kommt diese Verlegenheit so oft vor, dass man sich fragt, wann die sinnvollen Verbindungen verloren gegangen sind. Unser Archiv gibt Hunderte von Belegen aus, auch die Komplementärfloskeln "Dazu später mehr" und "Ich/wir komme(n) darauf zurück" bringen es auf eine stattliche Treffermenge.

Wie bei allem, so entscheidet auch bei den Floskeln die Dosis über Wohl oder Wehe. Die Floskel leitet sich vom lateinischen Wort flosculus her. Das bedeutet Blümlein, aber auch zierliche oder schöne Redewendung, und damit sind wir beim Kern der Sache: Ein, zwei Blümlein tun dem Text gut, zwanzig Blümlein ersticken ihn. Die antiken Rhetoriker hatten ein - Vorsicht: Floskel! - entspanntes Verhältnis zur Floskel, unter der sie eine gelungene Formulierung verstanden, besonders die eines anderen, die zitatweise eingeflochten wurde. Doch hielt es Quintilian für schlechten Stil, Blümchen zu präsentieren, die abfallen, wenn man nur leicht dran rührt, "si leviter excutiantur".

Was die Phrase "Aber der Reihe nach" ärgerlicher als andere macht, ist die unausgesprochene Unterstellung, Leser oder Hörer seien außerstande, die Elemente des Textes als Glieder einer Reihe zu verstehen. Erlaubt ist sie eigentlich nur, wenn der Autor merklich außer Tritt geraten ist und sich nun mit dem Publikum darauf verständigt, dass es wieder geordnet weitergeht. US

© SZ vom 08.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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