SZ-Werkstatt:Jana Stegemann

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berichtet seit Januar 2019 zusammen mit ihrer Kollegin Britta von der Heide für die SZ über den sogenannten Fall Lügde. Eine Geschichte, die die beiden nicht mehr loslässt.

Der 30. Januar 2019 war ein unfreundlicher Wintertag in Nordrhein-Westfalen, ein Mittwoch, an dem es den ganzen Tag über gar nicht richtig hell wurde. Für die 200 Kilometer von Düsseldorf nach Detmold brauchte ich knapp drei Stunden. Dass diese erste Pressekonferenz von Polizei und Staatsanwaltschaft im Fall Lügde mein ganzes Arbeitsleben für die kommenden Monate verändern würde, ahnte ich spätestens, als dem damaligen Leiter der Ermittlungskommission auf dem Podium mehrmals die Stimme brach. Als ich im Anschluss das erste Mal die 30 Kilometer bis zum Campingplatz fuhr, schneite es. Der Platz war verlassen, in der Dämmerung erschrak ich vor einer Schaufensterpuppe, die jemand vor eine Hecke gestellt hatte, und die aussah, als stünde dort ein Mensch.

Unter Journalisten gibt es die Erzählungen "von Geschichten, die einen nicht mehr loslassen". Für mich wurde das der Fall Lügde: ein unfassbares Verbrechen, geschehen in einer der entlegensten Ecken des Bundeslandes. Seit fünf Monaten recherchieren meine Kollegin Britta von der Heide und ich nun, finden den Weg zum Campingplatz längst ohne Navi, besprechen Neuigkeiten und Wendungen zu jeder Tages- und Nachtzeit.

So schrecklich und verstörend der Fall Lügde ist, so bewundernswert ist doch die Stärke einiger Kinder. Vor allem der Mut des kleinen achtjährigen Mädchens, durch dessen Erzählungen der jahrzehntelange Missbrauch erst gestoppt werden konnte. Die Furchtlosigkeit einer anderen Grundschülerin, die im Winter mit einem Tretroller kilometerweit zum Campingplatz fuhr, um ihre beste Freundin aus dem Caravan des Sexualstraftäters zu befreien.

Im Laufe der Recherche sagte uns ein auf die Behandlung sexuell missbrauchter Kinder spezialisierter Psychiater, dass "es Gott sei Dank eine unglaubliche Stärke der menschlichen Psyche gibt und Menschen sehr schlimme Dinge aushalten und damit klarkommen können, wenn sie ihr Leben lang die richtige Unterstützung bekommen". Dass das auch für die Kinder im Fall Lügde gilt, hoffe ich sehr.

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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