SZ-Werkstatt:Cannes revisited

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Susan Vahabzadeh, Feuilleton-Autorin und Filmexpertin der SZ, über moderne Diven auf der Croisette, das Abbiegeverhalten mancher Stars nach dem roten Teppich und ihre persönlichen Schleichwege zur Arbeit im Filmpalast.

Wie jede ordentliche Industrie hat auch das Kino Branchenblätter. Glaubt man ihnen, wären Aktien der Filmfestspiele von Cannes, gäbe es denn welche, im Tiefflug. Den Niedergang erkenne man schon daran, so stand es im Hollywood Reporter, dass der Juwelier Grisogono seine Modenschau zu einem Lunch abgetakelt habe. Als Filmkritiker lassen einen solche Diagnosen ratlos zurück. Für Kritiker sind Festivals der Ort, wo sie sich am besten mit Leuten aus ihrer Branche austauschen können, und natürlich ist auch dieses Jahr bei Gesprächen vor und nach den Vorführungen der Gesamtzustand des Kinos ein Thema - vor allem die Sorte von Filmen, die hier in Cannes gezeigt werden, das sogenannte "Arthouse-Kino", hat sinkende Zuschauerzahlen, und man fragt sich, woran das wohl liegt: Laufen einfach zu viele Filme, und keiner hat mehr den Überblick, haben die Streaming-Dienste den Leuten die Lust auf die Leinwand verdorben, liegt es an den Filmen selbst? Der Juwelier Grisogono kam aber definitiv in keiner Unterhaltung übers Kino vor, an der ich in den letzten zwanzig Jahren teilgenommen habe.

Geht man nach der Menschenmenge, die sich diesmal auf der Croisette drängelte, stehen die Aktien ganz gut: Der Palast mit den Filmtheatern ist wieder am besten über Schleichwege zu erreichen, weil auf der Croisette so viele Schaulustige sind, die Bill Murray, Adam Driver und Selena Gomez auf dem roten Teppich sehen wollen, zur Eröffnung gab's noch Julianne Moore und Eva Longoria als Bonus dazu, obwohl die im Eröffnungsfilm "The Dead Don't Die" gar nicht mitspielen.

Im Stadtbild von Cannes tauchen diese Stars aber fast gar nicht mehr auf - die Zeiten, als man in der Apotheke Faye Dunaway begegnen konnte, sind vorbei. Die Filmdiven von heute schicken ihre Assistenten los. Selbst Journalisten treffen nur zu festgelegten Interviewterminen auf sie. Einen Ort gibt es noch, an dem man sich auf die Lauer legen könnte: im Foyer des Festivalpalasts, auf dem Weg zu den Aufzügen. Manch einer, der gerade über den roten Teppich gelaufen ist, biegt nämlich noch vor dem Eingang ab und verschwindet durch den Keller.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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