SPD:Es fehlt Begeisterung

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Kann Olaf Scholz im Wahlkampf noch aufholen oder belastet ihn seine Rolle bei Wirecard & Co. zu sehr?

Beim digitalen Parteitag in seiner Kanzlerkandidatur gerade erst bestätigt: Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). (Foto: imago images/photothek)

Zu " Verlustanzeige", 30. April/1./2. Mai, " Der unsichtbare Dritte", 28. April, sowie zu " Die Armut frisst sich in die Mitte" und " Olaf Scholz: Wie man ihn kennt", 23. April:

Partei hat viele Verdienste

Richtig analysiert ist, dass es der SPD auf Bundesebene an Selbstbewusstsein, guter Darstellung und Kampfgeist fehlt. Doch der Verfasser malt hier allzu schwarz: Die älteste Partei Deutschlands ist keineswegs von der Bildfläche verschwunden, auf keiner Ebene. Ins Bild gehört unbedingt, dass die SPD in fast allen deutschen Großstädten regiert, nicht nur in Berlin, Hamburg und München, dass die SPD in sieben Bundesländern die Hauptkraft in den Landesregierungen ist, dass es ohne die SPD bis heute keinen Mindestlohn gegeben hätte, keine Rente mit 63 nach 45 Arbeitsjahren, keine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und keinen Anspruch auf Heimarbeit. All das gehört noch immer zur SPD, neben der wankelmütigen Darbietung in Berlin.

André Maßmann, Duisburg

Imageproblem des Kandidaten

Verlässlich, erfahren, vertraut sind Attribute, mit denen die SPD für ihren Kandidaten Scholz wirbt. Diese treffen auch auf meinen alten Regenmantel zu. Für politischen Aufbruch stehen sie nicht. Seit Monaten ist Scholz nun Kanzlerkandidat, und die SPD dümpelt bei 15 Prozent herum.

Von Begeisterung ist in der SPD nichts zu spüren. Sie wirkt wie eine Familie, die gelangweilt ihr Familienoberhaupt beobachtet, das krampfhaft versucht, sich ein frisches, jugendliches Image anzueignen. Dementsprechend tritt Scholz nun häufiger ohne Krawatte auf, öffnet den obersten Hemdknopf, ohne dabei auch nur ansatzweise locker zu erscheinen. "Man muss Kanzler nicht nur wollen, sondern auch können", ist einer seiner Sätze, die Wähler ansprechen sollen. Aber der Funke will einfach nicht überspringen.

Auch Merkel wollte und konnte Kanzlerin, auch Merkel ist verlässlich, erfahren und vertraut. Davon haben die Bürger genug. Ein Blick auf die junge Mitbewerberin verdeutlicht dies. Natürlich hat die Grüne Baerbock keinerlei Regierungserfahrung, aber sie hat in jeder Pore mehr Strahlkraft als der stocksteife Scholz mit dem Charisma einer Büroklammer. Er wirkt im Vergleich zu Baerbock ebenso alt und gestrig wie sein Unions-Mitbewerber Laschet.

Die beiden alten Männer kommen einem neben der frischen, jungen Frau vor wie Fossile. Beide stehen in den Augen vieler Bürger für ein "Weiter so". Nach 16 Jahren betulicher Merkel-Regierung sehnen sich viele Menschen aber nach mehr Zug, mehr Entschlusskraft und Aufbruch. Die Befürchtung der SPD, ihr Kandidat werde zwischen Baerbock und Laschet zerrieben, ist unbegründet. Eher zerreiben sich Scholz und Laschet an der Frage, wer mehr Regierungserfahrung habe, und die unerfahrene Baerbock ist die lachende Dritte.

Josef Geier, Eging am See

Sozialen Niedergang mitgetragen

Wer den Niedergang der SPD besser verstehen will, kann es in Interview mit dem Armutsforscher Christoph Butterwegge nachlesen ("Armut frisst sich in die Mitte"). Als Regierungspartei und Koalitionspartner der CDU hat die SPD diesen Niedergang sozialer Gerechtigkeit und den Verrat an der sozialen Marktwirtschaft mitgetragen.

Alfred Preuß, Lychen/Uckermark

Was Olaf Scholz belastet

Die Analyse "Wie man ihn kennt" von Cerstin Gammelin hat leider ihre Berechtigung. Schließlich besteht die entscheidende Achillesferse von Olaf Scholz in der Tat vor allem in einer mangelnden politischen Selbstreflexion, da er sowohl beim desaströsen G-20-Gipfel und dem Cum-Ex-Skandal in Hamburg als auch bei der Causa Wirecard nicht zu verstehen scheint, dass es hier weniger um sein eigenes persönliches Schicksal als vielmehr darum geht, über eine brutalstmögliche Aufklärung sämtlicher Vorwürfe Schaden vom Ansehen des Staates bei den Bürgern und damit dem Gemeinwohl abzuwenden. Deshalb bleiben, auch wenn die Würfel bereits gefallen sind, meines Erachtens erhebliche Zweifel, ob die SPD auf den richtigen Spitzenkandidaten im Bundestagswahlkampf setzt, zumal dieser ebenfalls in seiner noch gar nicht so lange zurückliegenden Zeit als Hamburger Bürgermeister entscheidende Zukunftsthemen wie die Nachhaltigkeit und die Digitalisierung nicht gerade ambitioniert vorangetrieben hat sowie mit dem Elbtower einen Luxustempel für ein vornehmlich nur sehr reiches Publikum noch kurz vor seinem Abgang nach Berlin in direkter Nachbarschaft zu einem ärmeren Stadtteil wie der Veddel hinterlassen hat - als ein Symbol gegen einen echten gesellschaftlichen Zusammenhalt!

Rasmus Ph. Helt, Hamburg

© SZ vom 11.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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