SPD:Die Gretchenfrage

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Im Interview verkündete SPD-Chefin Nahles, 100-Prozent-Lösungen werde es nicht geben, auch wenn viele in der Partei keine Lust mehr auf Kompromisse hätten. Leser fordern aber genau diese kompromisslose Haltung ein.

Kämpferisch - doch ist das genug? die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

" Keine Lust mehr auf Kompromisse" und " Ihre Seele verloren" vom 3./4. November:

Die Philosophie von SPD-Chefin Andrea Nahles kann nicht überzeugen. Zum einen lässt sich die Gretchenfrage, wofür die SPD überhaupt noch steht, nicht losgelöst von der Groko beantworten, da man im (Zweck-)Bündnis mit der Union immer auch schmerzliche Kompromisse schließen muss, wie zum Beispiel bei der Mietenpolitik, die trotz einiger leichter Fortschritte weiterhin viel zu ambitionslos verläuft, gerade um die in den Städten lebenden und direkt betroffenen Menschen von einer echten sozialen Handschrift zu überzeugen. Zum anderen darf es leider bezweifelt werden, dass die gegenwärtige Parteiführung sich noch komplett der ursprünglichen historischen Werte der Sozialdemokratie bewusst ist, wenn etwa Finanzminister Olaf Scholz bei der Kopie des Kurses seines Vorgängers Wolfgang Schäuble sogar so weit geht, keinen Anstoß daran zu nehmen, dass NS-Opferrenten wie im Fall des Wehrmacht-Deserteurs Ludwig Baumann zwecks Verrechnung mit anderen Leistungen des Sozialstaates gekürzt werden. Deshalb liegt weniger in einer angeblichen Unlust auf Kompromisse die entscheidende Achillesferse der SPD, sondern eben doch in einer fehlenden klaren Haltung!

Rasmus Ph. Helt, Hamburg

Wo sind die intellektuellen Köpfe?

Über viele Jahre gab es in der SPD-Spitze immer auch wenigstens einen intellektuell gewichtigen Kopf. Das scheint endgültig vorbei zu sein, seitdem Martin Schulz und dann Andrea Nahles den SPD-Vorsitz übernommen haben. Was findet die intellektuelle Wählerschaft der SPD in der SPD-Spitze statt eines intellektuellen Pendants? Eine Sprachkultur auf Bätschi/In-die-Fresse-Niveau. Die SPD-Spitze macht sich die verheerend abstoßende Wirkung dieser Vulgärsprache offenbar nicht klar. Einige der SPD-Köpfe, die für die intellektuelle oder auch digital hochkompetente Wählerschaft interessant sein könnten (zum Beispiel Klingbeil, Lauterbach, Kelber) bleiben - trotz offiziell wichtiger Funktionen - unscheinbar im Hintergrund.

Das Wichtigste für die SPD ist aus Sicht des gebildeten Wählers nicht die ängstliche Geschlossenheit der Spitze, sondern die sichtbare personelle Konzentration auf die klügsten und überzeugendsten Köpfe.

Prof. Ulrich Trottenberg, Sankt Augustin

Lang vermisstes Profil

" Besserwisser Scholz" vom 2. November: Der Kommentar ist selbst ausgesprochen besserwisserisch und in seinen Implikationen ausgesprochen fragwürdig. Die SPD stürzt in den aktuellen Wahlen ab, weil sie bei ihrem Kernthema "soziale Gerechtigkeit" zu wenig macht. Ein Mindestlohn, der dazu einen Beitrag leistet, ist wesentlicher Bestandteil diese Themas. Der aktuell beschlossene Mindestlohn von 9,16 bzw. 9,35 Euro leistet allenfalls einen homöopathischen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Olaf Scholz nun vorzuwerfen, er kümmere sich als Finanzminister um Dinge, die ihn in dieser Funktion gar nichts angingen, und dass er im Gegensatz zur Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaftern auch gar keine Sachkompetenz dazu haben könne, ist falsch.

Auch als Finanzminister, als Vizekanzler und erst recht als Führungskraft in der SPD muss man von ihm erwarten, dass er zu den angesprochenen Themen Stellung nimmt, was auch konkrete Vorschläge, zum Beispiel einen deutlich höheren Mindestlohn, einschließt. Damit bringt er kein "Fundament ins Wanken", sondern er versucht, seiner Partei etwas zu geben, was sie zur Zeit schmerzlich vermissen lässt - deutlich mehr soziales Profil. Dadurch kam das Fundament der SPD ins Wanken, weil ihr soziales Profil nicht mehr erkennbar war (zum Teil auch nicht mehr vorhanden).

Franz Peter Feichtinger, Haar

Stichtagssozialpolitik

Den von Claus Menzel in seinem Leserbrief "Ihre Seele verloren" genannten Punkten für eine von der SPD zu verantwortende arbeitnehmerfeindliche Sozialpolitik möchte ich noch zwei hinzufügen, die für mich Grund waren, mit dieser Partei zu brechen: 1. Nicht nur auf Betriebsrenten muss dank der SPD der volle Beitrag für Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt werden, sondern auch auf Kapitalleistungen aus berufsständischen Versorgungswerken, obwohl auch die Arbeitgeberzuschüsse bereits der Sozialversicherungspflicht unterlagen und die Verträge unter ganz anderen Voraussetzungen abgeschlossen wurden. Bei mir macht dieser Zusatzbeitrag an die AOK monatlich rund 320 Euro aus, die sich in zehn Jahren, auf die die Kapitalleistung umgerechnet wird, auf fast 40 000 Euro summieren. Ich nenne dies: kalte Enteignung! Entgegen den Ankündigung der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt werden Kapital- und Mieteinkünfte bis heute voll verschont!

2. Mit der von der SPD abschlagsfreien Rente mit 63 bei mindestens 45 Beitragsjahren wurde gleich wieder eine neue Ungerechtigkeit geschaffen. Während ich, der ich 2009 nach 49 (!) Beitragsjahren mit 63 Jahren in Rente gegangen bin, 7,2 Prozent Abschlag hinnehmen muss, wurde dieser Abschlag späteren Jahrgängen bekanntlich erlassen. Der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, Andrea Nahles und andere SPD-Größen begründeten dies damit, dass jemand, der so lange in die Solidarkasse einbezahlt habe, eine abschlagsfreie Rente "verdient" habe. Mag ja durchaus richtig sein, aber ich frage mich dann schon: Und ich, der 1960 mit noch nicht ganz 14 Jahren ins Berufsleben eintrat, und der dann fast ein halbes Jahrhundert in die Solidarkassen einbezahlt habe, ich habe das nicht "verdient"?

Ach ja, 3.: Mit der jetzt geplanten Änderung bei der Erwerbsminderungsrente soll es ja wieder so ungerecht laufen: Während für Neurenten eine massive Verbesserung vorgesehen ist, gucken Bestandsrentner in die Röhre! Stichtagssozialpolitik à la SPD eben.

Werner Müller, Waiblingen

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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