Sexismus:Eine Gratwanderung

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Wann ist es noch ein Kompliment, wann eine Belästigung? Die Petition einer Studentin mit der Forderung, verbale Entgleisungen unter Strafe zu stellen, ruft bei Leserinnen und Lesern gemischte Reaktionen hervor.

Stopp! Frauen bekommen immer öfter Zuspruch, wenn sie sich gegen Chauvi-Sprüche wehren. Aber verbale Entgleisungen gleich unter Strafe zu stellen? Die Meinungen dazu gehen auseinander. (Foto: Imago/Bearbeitung: SZ)

Zu " Bis hierhin und nicht weiter" vom 28. September sowie zu " Achtung!" vom 26./27. September und zu " Billige Empathie" vom 25. September:

Schlagfertigkeit statt Klagen

Warum dumme Sprüche und anzügliche Gesten unterhalb einer gewissen Schwelle nicht als Herausforderung an die eigene Schlagfertigkeit sehen und verbal oder nonverbal kontern? Begibt man sich mit dem Ruf nach der Justiz bei jeder gefühlten Beleidigung nicht vielleicht in eine (selbst gewählte) Opferrolle?

Therese Deitermann, Ahaus

Das Thema breiter anlegen

Zwei Dritteln der deutschen Frauen wurde schon auf der Straße hinterhergepfiffen, was hier als sexuelle Belästigung empfunden wird. Unabhängig davon, dass diese gemachte Aussage sich auf eine Untersuchung des französischen Meinungsforschungsinstituts Ifob stützt, ist die Frage: Wann wird sexuelle Belästigung als solche definiert, und von wem, und wann ist es eher noch ein Kompliment? Im Kern geht es dabei meines Erachtens um Kontrolle mit dem Mittel der Moral, nicht um sexuelle Belästigung oder gar ein missverstandenes oder vermeintliches Kompliment. Was darf gesagt werden und was nicht? Wer hat darüber die Deutungshoheit? Diese Fragen sollen jetzt delegiert werden an den Staat, das Strafrecht auszuweiten, um die moralische Eindeutigkeit herzustellen. Das ist die Intention dieser Petition, die dazu auffordert, sogenanntes Catcalling, also verbal belästigende Wortwahl gegenüber Frauen, unter Strafe zu stellen. Das Thema scheint mir so in der Realität nicht als systemrelevant.

Im Zentrum steht hier die eigene gesellschaftliche Sichtweise und die eigene Betroffenheit und Befindlichkeit. Diese Betroffenheit und Befindlichkeit, weil sie eben subjektiv erlebt wird, lässt alle Möglichkeiten zu, entsprechend zu reagieren. Das unterschiedliche Reagieren beziehungsweise deren Möglichkeiten werden jedoch ausgeblendet. Dabei wird suggeriert, alle Frauen haben das erlebt, alle Frauen lassen sich unter dem Subjekt "Frau", wie hier beschrieben, zusammenfassen, wobei sie wiederum Subjekte sind, die sich in der Unterschiedlichkeit ihrer "Befindlichkeit" nicht unter einem Nenner zusammenfassen lassen. Genauso wenig wie Männer.

Die aus einem bürgerlichem Elternhaus stammende Petentin Antonia Quell könnte doch stattdessen zum Beispiel das Thema aufmachen, dass 75 Prozent der Frauen in systemrelevanten Berufen arbeiten und dafür niedrig bis jämmerlich entlohnt werden. Wo bleibt hier die Stimme? Sie könnte auch unter ihren Altersgenossen und -Genossinnen das Thema aufmachen, was Sexualität mit all ihren Facetten für diese Generation bedeutet und welchen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten sie dabei ausgesetzt ist. Vielleicht auch eine Plattform einrichten, was genau "Begehren" für sie und die Mitpetentinnen heute bedeutet? Wobei der Begriff des Begehrens hier weit über die sexuelle Konnotation hinausgeht. Das wäre meines Erachtens eine Möglichkeit, aus der vermeidlichen Opferrolle herauszutreten und sich als Souverän seiner eigenen Wahrnehmung und Handlung zu begreifen - jenseits der pfeifenden Männer.

Friedrich Bensch, Köln

Politische Haltung ist irrelevant

Die Frau ist der Frau eine Wölfin, beginnt die Kolumne "Billige Empathie" von Jagoda Marinić. Und nach dem Lesen dieser Kolumne hat man den Eindruck, dass die Autorin die Wölfin in Bezug auf die ehemalige FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg ist. Die Autorin prangert zu Recht den Sexismus von Christian Lindner an, um dann den Bogen zu der ihr nicht genehmen Migrationspolitik von Teuteberg zu schlagen. Beides hat nichts miteinander zu tun, diese Verknüpfung ist unsachlich und meines Erachtens auch unfair gegenüber der Bundestagsabgeordneten Linda Teuteberg. Sexismus bleibt Sexismus, unabhängig davon, welche politische Auffassung das Opfer hat, bleibt Sexismus gleichermaßen zu verurteilen.

Thomas Topp, München

Wenig Solidarität unter Frauen

Deutschlands Frauen können sich echte und ehrliche Empathie füreinander gar nicht leisten, denn unsere Demokratie und unser Wohlstand sind meines Erachtens nur möglich, weil die Frauen alle Lügen, Diskriminierungen und die daraus entstehenden Konflikte untereinander austragen. Das ist dann der berühmte "Zickenkrieg". Wenn Solidarität stattfindet, dann nur und nur solange sie dem Selbstzweck und dem eigenem Vorteil dient.

Priska Alice Ruth Gehring, Freiburg im Breisgau

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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