Schüler:Überfordert, unterfordert

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Wieso sind die schulischen Leistungen der Viertklässler in Deutschland nun plötzlich schlechter geworden? Leserinnen und Leser haben dazu vielschichtige Erklärungen.

"Viertklässler immer schlechter" vom 14./15. Oktober:

Sie schummeln sich durch

Auf der Suche nach Ursachen für das schlechte Abschneiden der Viertklässler spielen für mich drei Entwicklungen eine verhängnisvolle Rolle: Ein gesellschaftlicher Wandel in der Erziehung im Elternhaus, das Vordringen des Smartphones in die Kinderzimmer, sowie eine schulgemachte Komponente durch "neue" Didaktik und Pädagogik im Unterricht.

Eltern treten ihren Kindern heute zunehmend als Kumpels gegenüber, die Kleinen dürfen sich in langen Diskussionen einen vermeintlich leichten Weg heraussuchen. Es entwickeln sich Kindheiten, in denen fast alle Wünsche weitgehend mühelos und sehr schnell erfüllt werden. Zu viele Kinder, die nicht lernen, sich ausdauernd und konzentriert für ein Ziel, für einen Wunsch, für ein Ergebnis anzustrengen, sei es im Spiel oder in der Erfüllung materieller Wünsche. Längere Phasen der Ruhe, des Verweilens oder gar der Langeweile werden den Kindern fremd.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: N/A)

Diese Entwicklung wird aus meiner Sicht verstärkt durch eine gefährliche Wirkung der zu frühen, zu wenig eingeschränkten und durch Eltern kontrollierten Nutzung von Smartphones und anderen elektronischen Spiel- und Kommunikationsmedien. Die massive Überflutung mit Reizen, schon durch falschen TV-Konsum, das schnelle Wegzappen und Wegwischen bei geringstem Nichtgefallen, bringen Unruhe, Unkonzentriertheit und das Verlangen nach immer noch stärkeren, noch schrilleren Kicks.

Als Drittes sehe ich neue Strömungen und Unterrichtsformen in der Grundschule und in weiterführenden Schule äußerst kritisch. Ich meine hier die Ansage, Lernen muss/darf - überspitzt formuliert - nur in Wohlgefühl und Spaß verpackt sein und am besten auf einem Sofa stattfinden, Schüler suchen sich Unterrichtsstoff streckenweise selbst aus und lernen eigenverantwortlich. Welche Überforderung für den Großteil der Schüler und welche seltsame Verirrung, dass Lehrer, die ihr Handwerk doch nicht umsonst gelernt haben, sich stark zurücknehmen und sich zum "Lernbegleiter" degradieren.

In diesem System entsteht kein kontinuierliches und effektives Lernen, viele Schüler schummeln sich durch den Vormittag, Schwierigkeiten werden umgangen, Zeit wird vertrödelt und in Selbstkontrolle bestimmt auch manche falsche Lösung vom Schüler selbst mit einem Smiley abgesegnet. Parallel dazu wurden die Anforderungen in Bildungsplänen und Prüfungen ständig heruntergefahren. Ich bilanziere ein Absinken der Leistungsbereitschaft, der Belastbarkeit, des Wissens und der Fähigkeit der Vernetzung und Anwendung von Wissen; die Ergebnisse der neuen Bildungsstudien und die Hilferufe der Hochschulen bestätigen mir meine Sicht. Rolf Wehrle, Furtwangen

Lippenbekenntnisse der Politik

"Kinder sind unsere Zukunft", "Bildung ist Deutschlands wertvollster Rohstoff" - diese und ähnliche Lippenbekenntnisse sind allzu bekannt. Leider bleiben es gemeinhin Leerformeln, denn sonst gäbe es keinen derart exorbitanten Unterrichtsausfall und Bildungsnotstand - in zudem teilweise altersblanken Räumlichkeiten, mit mangelhaftem Inventar und anachronistischer Ausstattung. Es gäbe nicht die schlechten Bildungschancen, die schließlich nicht nur in (fortgesetzte) Bildungsferne münden, sondern auch Gesundheit und Kindeswohl gefährden können. Je mehr und je länger der Bildungserfolg der Kinder vom Geldbeutel der Eltern abhängt, desto weniger stark wird der gesellschaftliche Zusammenhalt aufgrund der sozialen und finanziellen Spaltungen zukünftiger Generationen sein. Ira Bartsch, Lichtenau-Herbram

"Ich schpile mit meinem Hunt"

Wenn Kevin und Schantalle schon im Kindergarten Smartphones haben müssen, wenn zu Hause kein gemeinsames Essen geschweige denn ein Gespräch zustande kommt, wenn Eltern und Großeltern den Kindern im Vorschulalter nicht mehr vorlesen, sondern das per Hörbuch den Handys, Tablets und Computern überlassen, wenn 16 verschiedene Schulsysteme existieren, und jeder zuständige Landespolitiker meint, das beste zu haben, wenn Lehrer sich nicht mehr durchsetzen können, weil Eltern gleich zum Kadi gehen, wenn Inklusion, die als Allheilmittel angepriesene Lehrmethode alles gerechter machen soll, wenn Grundschüler nach Gehör schreiben sollen ("Ich schpile mit meinem Hunt"), dann wundert mich nichts mehr und ich prophezeie: In weiteren fünf Jahren wird die Leistung, wenn kein radikaler Paradigmenwechsel erfolgt, noch weiter abgesackt sein. Siegfried Engelke, Korbach

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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