Reichsbürger:Von wegen Spinner

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Der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich hat festgestellt, dass sogenannte Reichsbürger nicht unbedingt isolierte Fantasten sind, sondern ihr politisches Weltbild in rechten Kreisen durchaus weit verbreitet ist.

"Polizei spürt Reichsbürger in eigenen Reihen auf", vom 31. Oktober:

Bei meinen Recherchen zu möglichen Mittätern und Hintermännern des Oktoberfestanschlags vom 26. September 1980 bin ich immer wieder auf politisch aktive rechte und rechtsradikale Gruppen mit ähnlichem Profil wie über die berichteten "Reichsbürger" gestoßen. Diese Personen und Gruppierungen handelten in der großen Mehrzahl nicht als versponnene, isolierte Fantasten, sondern sie haben ein in diesen Kreisen weit verbreitetes konstantes politisches Weltbild. Dieses lässt sich durch Meinungsäußerungen und Taten aus diesem Milieu seit den 70er-Jahren nachweisen. Insbesondere der Aspekt, was sie statt der bundesrepublikanischen Ordnung politisch anstreben - ausgesprochen oder aus taktischen Gründen stillschweigend - kommt in der Presseberichterstattung, der öffentlichen Wahrnehmung und vor allem bei Politik und Sicherheitsbehörden regelmäßig zu kurz oder wird aus Gründen der politischen Opportunität unter den Teppich gekehrt.

Diese rechtsterroristische und hochverräterische politische Ausrichtung von Teilen der bundesrepublikanischen rechtsradikalen Szene lässt sich seit den 70er-Jahren durch programmatische Schriften, Leserbriefe, Prozesserklärungen, Flugblätter aber auch durch Straftaten als Folge dieser "Ideologie" nachweisen. Die jeweiligen Gruppierungen, Zusammenschlüsse und Personen heißen/hießen: "Deutsche Aktionsgruppen, deren Leitfigur Rechtsanwalt Röder war, Forstmeister Lembke, Wehrsportgruppe Hoffmann und Ableger, Michael Kühnen, sowie zahlreiche weitere Kampf- und Wehrsportgruppen als Neugründungen oder Nachfolgeorganisationen: Deutscher Soldaten- und Kriegerbund e.V., Deutscher Jugendbund Kyffhäuser Bund e.V., Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Soldaten der Waffen-SS, HIAG; Bundeswehrfanclub Neuburg a.d.Donau, Stahlhelm-Kampfbund für Europa; Wehrsportgruppe Zimmermann in Schalkentan; Kampfsportgruppe "Vorposten" (KSG) in Dietramszell-Linden usw.

Hiergegen wurde nicht nur nichts unternommen, es ist vielmehr zu befürchten, dass damals wie heute auch Beamte unserer Sicherheitsbehörden in diesen Gruppen aktiv oder unterstützend tätig waren, siehe die aktuelle Mitgliedschaft bayerischer Polizeibeamter bei den "Reichsbürgern".

Im Windschatten der Verfolgung des "Linksterrorismus" konnte sich diese Szene sicher fühlen und ihre Ideologie verbreiten, allenfalls bedroht von einem vereinsrechtlichen Verbot; selbst diese milde Sanktionsform war politisch umstritten und wurde von der CSU abgelehnt. Als terroristische, hochverräterische Gruppierungen wurde gegen diese "frühen Reichsbürger" nicht vorgegangen. Diese Personen lediglich als "Spinner", "Pöbler", "harmlose Waffennarren" zu bezeichnen verfehlt deren politisch-ideologischen Hintergrund vollkommen.

Werner Dietrich, München

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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