Bildung:Pisa-Schock zum Zweiten

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(Foto: Karin Mihm)

Vor mehr als 20 Jahren gab es einen Aufschrei, als deutsche Schülerinnen und Schüler in der Pisa-Studie schlecht abschnitten. Jetzt waren die Leistungen noch schlechter. Woran liegt's?

"Schock auf Ansage" vom 6. Dezember:

Wieso fehlen die Lehrer?

Pisa-Schock - wie peinlich für die Kulturnation Deutschland! Aber es ist nicht nur peinlich, sondern auch fatal für die Kinder und Jugendlichen, die sich mit einer schlechten Schulbildung im Leben bewähren sollen - von "Bildung" als immateriellem Reichtum gar nicht zu reden! Vielleicht sollte man stärker solide Grundlagen vermitteln, die man durch gute Lehrer und konsequentes Üben (das nicht unbedingt öde sein muss) erreichen kann. Leider hat sich in den letzten Jahren ein häufiger Methodenwechsel entwickelt, der mit Methodenvielfalt nichts zu tun hat, sondern meist nur Unsicherheit produziert. Besser wurde die Situation dadurch jedenfalls nicht. Man kann vieles mit Corona "entschuldigen", aber die Pandemie gab es, wie im Artikel genannt, auch in anderen Ländern, und wir waren einfach schlechter organisiert. Außerdem: Nicht nur in Deutschland gibt es viele Migranten. Auch das ist eine etwas billige Erklärung - es besteht schlicht und einfach ein erhöhter Förderbedarf!

Nun glaubt man, mit der konsequenten Digitalisierung das Problem zu lösen. Auch dies ist wieder ein kurzsichtiger Ansatz, denn selbst die beste Versorgung mir Tablet und Co. ersetzt nicht den didaktisch versierten und pädagogisch handelnden Lehrer. Natürlich muss unseren Schülern ein adäquater Umgang mit dem PC vermittelt werden, aber noch wichtiger wäre es, den Lehrermangel zu beheben. Alle digitalen Hilfsmittel mit Prognosen für künftige Entwicklungen haben anscheinend die zuständigen Kultusministerien nicht dazu motiviert, rechtzeitig für genügend gut ausgebildete Lehrer zu sorgen.

Renate von Törne, Hof/Saale

Massives Versagen der Bundesländer

Nun also das nächste niederschmetternde Ergebnis einer Pisa-Studie: Es geht weiter steil bergab mit dem deutschen Bildungssystem - und das ausgerechnet in Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften. Die Gründe dafür wissen alle seit Jahrzehnten: zu wenige ausgebildete Lehrkräfte, zu marode Schulhäuser ohne digitale Ausstattung, zu große Klassen, zu wenig individuelle Förderung für die Schwachen, aber auch für die Starken. Ein massives Versagen der Bundesländer, die in Deutschland für die Schulen zuständig sind. Corona darf dabei nicht als Ausrede zählen.

Man weiß längst, dass ein höherer Bildungsgrad für mehr Innovation, Produktivität und Effektivität sorgt, also für mehr Wirtschaftsleistung und damit für mehr Wohlstand. Wie sagte einst John F. Kennedy so richtig: "Es gibt nur eines, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung." Auch das notwendige Gegensteuern ist längst bekannt: Deutschland muss (nicht müsste) schon in den Kindergärten bessere Sprachkompetenz vermitteln, gerne auch mit ehrenamtlichen "Vorlesepaten". Damit am Ende kein Kind ohne Schulabschluss bleibt, müssen sowohl die muttersprachlichen als auch die steigende Anzahl internationaler Kinder im Schlüsselfach Deutsch individuell gefördert werden. Alle Lehrkräfte müssen endlich von administrativen Maßnahmen entlastet werden, damit sie wirklich nur noch unterrichten können. Wenn es endlich mehr und bessere Kinderbetreuung gäbe, könnten die meist weiblichen Teilzeitkräfte auf Wunsch vermehrt in die Schulen gehen. Eigentlich gibt es keinen Lehrermangel, sondern eher einen Lehrerstundenmangel durch viel zu viel Teilzeit.

Dr. Rainer Pippig, Neuried

Freiheit für die Schulen

Es war abzusehen, dass man zur alten Leier zurückkehren würde: Es fehle an der notwendigen Digitalisierung. Ganz sicher nicht. Die Gründe für das Versagen liegen aber viel näher. Bis heute erfolgt eine Bevorzugung von Schülern aus dem gehobenen Milieu. Die Abgehängten, die Schüler aus prekären Verhältnissen, lässt man achtlos liegen.

Und schlussendlich: Es sollten die Verantwortlichen, die Besserwisser, in den übergeordneten Schulbehörden ihre Finger von den Schulen lassen. Gebt den Schulen endlich Freiheit, damit diese ihre vielen Ideen zur Unterrichtsgestaltung verwirklichen können.

Marcus Schlüter, Weil im Schönbuch

Sakrosanktes Gymnasium

Gut, dass die OECD die Schulsysteme aus verschiedenen Ländern miteinander vergleicht. Der Blick auf 81 Länder zeigt vor allem ein erschreckendes Ergebnis: Die Schere in schulischen Leistungen zwischen bildungsnahen Bevölkerungsschichten und Schülerinnen und Schülern aus sozioökonomisch schlechtergestellten Haushalten geht speziell in Deutschland immer mehr auseinander.

Etwas Grundsätzliches wurde aber nicht infrage gestellt. In keinem Land der Welt (außer Österreich) werden junge Menschen schon im Alter von zehn Jahren sortiert: entweder auf das Gymnasium und je nach Bundesland auf andere Schulformen mit unterschiedlichem Namen.

Was wäre zu tun? Die Schulsysteme fast aller Länder, die vor Deutschland in der OECD-Tabelle liegen, haben etwas gemeinsam. Ihre Schülerinnen und Schüler lernen bis zur 9. oder 10. Klasse alle zusammen. Auch Lilith Volkert zeigt auf, was im Unterricht in Estland und Finnland besser läuft. Was aber nicht angesprochen wird: dass auch diese Länder ein gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler bis Klasse 9 haben. Die deutsche schulische Sortiermaschine wird nicht mal angesprochen, an deren Veränderung traut sich auch niemand heran, das deutsche Gymnasium ist sakrosankt und hat auf allen Ebenen viele Fürsprecher.

Helmut Gattermann, Merzhausen

Mächtige Gymnasiallobby

Weiterhin müssen sich alle Kinder schon nach der vierten Grundschulklasse einer Aufteilung ohne Rücksicht auf unterschiedliche Entwicklungen unterziehen. Wer hier unten bleibt und nicht das "Grundschulabitur" mit dem geforderten Notenschnitt schafft, sieht sich nicht selten als Versager und kann so für sich wie für die Gesellschaft zum Problem werden.

Erfolgreiche Bildungsländer haben bei einem späteren Übertritt und bei oft kürzeren Gymnasialzeiten bessere Ergebnisse. Angesichts einer zunehmender Migration und des Fachkräftemangels sollten Politiker einen prestigeträchtigen Run auf Gymnasien nicht noch zusätzlich unterstützen. Ärgerlich, wenn so Steuergelder verschwendet werden, die im Grund- und Vorschulbereich fehlen, wo Grundsätzliches gelernt wird, aber offensichtlich gravierende Notstände bestehen.

Wenn seit Jahren die Bildungspolitik primär von der mächtigen Gymnasiallobby wie der gesellschaftlichen Oberschicht bestimmt wird, muss man sich nicht wundern, dass Grundschulen wie auch die vorschulischen Bildungseinrichtungen zu kurz kommen, wo aber die wesentlichen Grundlagen gelegt werden.

Simon Kirschner, Gaimersheim

Mentalität in den Elternhäusern

Nun hat es hoffentlich der Letzte kapiert: Unendlich bildungswirksamer als digitale Geräte oder pseudoinnovative Lernarrangements sind klassische Unterrichtsmedien wie Bücher, Hefte und Kreidetafeln. Hinzu kommen elterliche Fürsorge und Zuwendung sowie kulturelles Kapital in der Familie: Vorlesen, analoge Kommunikation und vor allem Offenheit für wertvolle Bildungsinhalte. Schule ist weder Reparaturbetrieb der Gesellschaft noch eine Sozialhilfeeinrichtung, sondern Lern- und Lebensraum, wo man nur mit Anstrengung und Motivation weiterkommt. Ressourcen und Strukturen bilden den Rahmen, gefüllt werden muss er mit Freude und Lerneifer. Kultusminister sollten darüber nachdenken, wie man diese Mentalität besser fördern kann.

Thomas Gottfried, Freising

Mathe in einfacher Sprache

In der Süddeutschen Zeitung habe ich eine Mathematik-Beispielaufgabe aus der Pisa-Studie gelesen. Die Formulierung ist meiner Meinung nach so "hochdeutsch", dass selbst Menschen mit Deutsch als Erstsprache sich schwertun. Damit Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache ihre mathematischen Kompetenzen zeigen können, sollten Texte im Fachunterricht und erst recht in Tests wie Pisa in einfacher Sprache formuliert sein.

Alexandra Dreiseidler, Alfter

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