Chancengleichheit:Gründe für die Rollenverteilung

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Die Forderung nach Quotenregelungen löst nicht überall Freude aus. Doch viele finden, dass sie nötig sind - wenn auch nicht so lange, bis in jeder Branche 50 Prozent Frauen beschäftigt sind.

"Das Paradox der Geschlechter" vom 22. Oktober:

"Vom Kopf auf die Füße"

Vielen Dank für den Artikel, der als "Plädoyer für mehr Chancen- und weniger Ergebnisgleichheit" geeignet ist, in der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit manches "vom Kopf auf die Füße" zu stellen. Eine logische Folgerung wäre, dass Quotenregelungen nicht Geschlechterparität zum Ziel haben, sondern bei der Bemühung um Chancengleichheit nachhelfen sollten - mehr nicht. Da stellt sich in den verschiedenen Situationen die Frage, welche Quote jeweils am ehesten geeignet ist. Sicher nicht 50 Prozent.

Christoph Meyer, Karlsruhe

Rechtfertigung des Status quo

Im Grunde sagt dieser Artikel nichts weiter als: Frauen, bleibt bei Kindern, Küche und Care-Arbeit. Natürlich ist es so, wenn mehr Menschen vom selben Kuchen essen wollen, werden die Stücke kleiner. Oder: Wenn sich mehr Frauen als Physikerinnen ausbilden lassen, ist es halt nicht mehr selbstverständlich, dass nur Männer den Zuschlag kriegen. Dass das nicht angenehm ist, kann ich mir vorstellen.

Übrigens, vor gut 100 Jahren hat man Frauen noch nicht zugetraut, Medizin zu studieren. Ihre zarte Psyche könnte Schaden nehmen. Heute gibt es mehr Ärztinnen als Ärzte.

Jutta Meinerts, Stendal

Der Einfluss von außen

In meiner Eigenschaft als Mutter und Schulleiterin in der Grundschule habe ich im Lauf der Jahrzehnte Folgendes beobachtet: Die Interessen von Mädchen und Jungen sind in der Tat verschieden; aber das spielt keine große Rolle; auch die Erziehung ist nicht entscheidend. Zwei Faktoren sind meines Erachtens schuld daran, dass Rollenklischees schon im Kindesalter festgelegt werden.

Als 1986 meine Tochter geboren wurde, war es möglich, neutrale Kleidung zu kaufen oder Lego-Steine, mit denen man selbst Ausgedachtes bauen konnte. Winterjacke, Spielsachen, Fahrrad und so weiter hat später der kleine Bruder übernommen. Dann fiel es den Kleidungs- und Spielwarenherstellern ein, dass man die doppelte Menge an Kleidung und Spielsachen verkauft, wenn man geschlechtsspezifische Dinge produziert und dafür kräftig Werbung macht.

Heute gibt es fast keine Schulranzen mehr, die nicht eindeutig für ein Mädchen oder für einen Jungen gedacht sind. Auch entsteht Druck durch die Gruppe; Kinder und Jugendliche wollen gern so sein wie die anderen. Ein Mädchen hatte die Sportschuhe vergessen und hätte Schuhe ausleihen können. Die waren aber blau. Sie hat lieber zugeschaut, als "Jungen-Schuhe" anzuziehen.

Der zweite Faktor ist der Einzug der Smartphones ins Kinderzimmer: Youtube-Videos, Spiele, Influencer und Influencerinnen. Überwiegend interessieren sich da die Frauen für ihr Aussehen, die Männer haben Geld und große Autos. Und die Kinder sehen so viel davon. Es ist wirklich schwer, dem als vernünftige Mutter oder Lehrerin etwas entgegenzusetzen. Als ob man ein Wettrennen auf dem Radl gegen einen Rennwagen macht.

Hanna Bogdahn, München

Die Zwänge der Gesellschaft

Ich möchte noch einen Aspekt einwerfen, der nicht betrachtet wird. Die Befreiung von Zwängen in Gesellschaften, die sich mehr Gleichberechtigung verschrieben haben, führt zu Unsicherheiten. Da diese Gesellschaften bisher aber nur traditionelle Rollenmuster präferiert und Menschen, die diese durchbrachen, geschmäht haben, durch Nichtbeachtung, wie vielfach für Frauenkarrieren belegt ist, gibt es keine Alternativen, um sich der Unsicherheit zu entziehen, und es werden diese alten Rollenmuster gewählt. Auch ist meines Erachtens die Rollenverteilung bei Weitem nicht so egalitär wie gewünscht, es besteht also weiterhin ein informeller Druck oder Zwang, sich für eigentlich überkommene Rollenmuster zu entscheiden.

Dazu trägt auch die Mode- und Spielzeugindustrie bei, die den Eltern stereotype Kleidung und Spielsachen nahelegt. Ebenso unterstützen die Herren der Schöpfung, die wohl am meisten unter der Rollendiffusion leiden, traditionelle Frauenklischees und leben diese oft auch in ihren Beziehungen aus, weil sie sich ihrer selbst unsicher in der geforderten neuen männlichen Rolle sind.

Hinzu kommen falsche Vorstellungen, inwieweit die Biologie die Berufswahl bestimmt, denn grundsätzlich zeigen die Ergebnisse der Länder ohne Gleichberechtigung, dass Frauen sehr wohl technische Berufe wählen. Und unsere Geschichtsschreibung trägt ein Übriges dazu bei, die Frau am Herd zu idealisieren, wo doch nicht mal in den Urgesellschaften diese nur in der Höhle saß. Schaut man sich die Wissenschaften oder die Kunst an, wurden Frauen mit ihren Beiträgen ignoriert, mussten zum Teil Männernamen annehmen oder bekamen weder Anerkennung noch Preise für ihre Arbeiten. Die Forderung nach Chancengleichheit im Gegenteil zu Ergebnisgleichheit finde ich richtig.

Michael Beck, Wolfenbüttel

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