Krieg:Nahost auf dem Schulhof

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(Foto: Henriette Artz)

Antisemitische Übergriffe nehmen zu, jüdische Familien haben Angst, ihre Kinder trauen sich nicht mehr zur Schule. Sieben Antworten zur aktuellen Lage von Expertin Miki Hermer.

Interview von Nina Himmer

Ist Antisemitismus rassistisch?

Beides ist fürchterlich, beides ist menschenfeindlich und beides gerade ein großes Problem. Aber Antisemitismus funktioniert anders als Rassismus: Bei Rassismus werden Menschengruppen pauschal abgewertet - etwa aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Antisemitismus, also Judenhass, hingegen stellt jüdische Menschen als besonders mächtig und einflussreich dar. Hartnäckig hält sich die Lüge, dass sie die heimlichen Strippenzieher der Welt seien und zum Beispiel Medien, Politik und Wirtschaft kontrollieren. Verschwörungserzählungen sind deshalb oft eng mit Antisemitismus verknüpft.

Darf man denn gar nichts gegen israelische Politik sagen?

Natürlich darf man das - und es passiert ja auch die ganze Zeit. Das Problem ist, dass vieles, was gerade gesagt, gebrüllt und oder auf Protestplakate geschrieben wird, gar keine Kritik ist, sondern Antisemitismus - also Judenhass. Um das zu erkennen, hilft die 3-D-Regel. Die D's stehen für: Dämonisieren, Delegitimieren, Doppelstandards. Klingt komplizierter, als es ist. Letztlich geht es um drei Fragen: Wird Israel als das Böse dargestellt? Wird das Recht Israels zu existieren infrage gestellt? Geht man mit Israel härter ins Gericht als mit anderen Ländern? Wenn eine oder mehrere Fragen mit Ja beantwortet werden, hat man es nichts mit Kritik zu tun, sondern mit Hass.

Aber das Leid der Menschen in Gaza ist doch auch schlimm?

Sehr sogar. Aber: Für die aktuelle Situation im Gazastreifen ist vor allem die Hamas verantwortlich. Sie ist es, die unschuldige Menschen als Schutzschild missbraucht, sie an der Flucht hindert und sich in Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingslagern versteckt. Sie feuert weiterhin Raketen auf Israel, verbreitet Hetze und nutzt ihr Tunnelsystem nicht etwa, um Zivilisten zu schützen, sondern ihre Kämpfer - und wohl auch, um mehr als 230 israelische Geiseln gefangen zu halten. Die Hamas hat vorher gewusst und eingeplant, dass Israel sich nach diesem brutalen Angriff verteidigen würde - wie es jedes andere Land auch tun würde.

Ist Widerstand gegen die israelische Besatzung nicht auch irgendwie okay?

Terror ist kein Widerstand. Widerstand ist Protest, der auf Wandel und Verbesserung der Lage abzielt - und dafür ist zunächst mal die eigene Regierung zuständig. Die Hamas aber ist eine Terrorgruppe, die das größte Morden an jüdischen Menschen seit dem Holocaust zu verantworten hat und es bejubelt. Es geht ihr nicht darum, die Lage für das eigene Volk zu verbessern. Das Gegenteil ist der Fall: Die Hamas nutzt das Leid der eigenen Bevölkerung, um den Hass auf Israel in der ganzen Welt zu schüren. Für Palästinenser einzutreten, müsste heute statt "Free Palestine!" heißen: "Free Palestine from Hamas!" In diesem Krieg werden Täter und Opfer oft umgekehrt.

Muss man auf einer Seite stehen?

Im Klassenzimmer gibt es etwas, das Experten "Positionierungsdruck" nennen. Eine Art Gruppenzwang, sich zu einer Seite zu bekennen. Dabei ist es absolut menschlich, mit dem Leid auf beiden Seiten mitzufühlen: Man kann gleichzeitig die Opfer des Terrors in Israel und die Toten im Gazastreifen betrauern. Die israelische Politik kritisieren, ohne Juden weltweit dafür verantwortlich zu machen. Den Kampf gegen den Terror der Hamas unterstützen und einen palästinensischen Staat fordern.

Was ist kaputt mit "Fridays for Future"?

In den vergangenen Tagen sind verstörende Posts auf dem internationalen Account der Klimabewegung aufgetaucht. Sie verharmlosen den Terror, schwadronieren von Gehirnwäsche durch Medien und verlieren kein Wort über die israelischen Opfer. FFF Deutschland hat sich davon klar abgegrenzt. Trotzdem: Was hat Antisemitismus in der Klimabewegung verloren? Wieso äußert sie sich nur zu diesem Konflikt? Wie soll es jetzt weitergehen?

Was kann man tun?

Jemand aus deiner Klasse wird beschimpft oder bedroht? Auf keinen Fall schweigen oder wegsehen. Damit tut man Betroffenen noch mehr weh. Oft reicht es schon, mit einfachen Sätzen einzuschreiten: "Ich finde es nicht richtig, so über Menschen zu sprechen" oder "Ich möchte bei deinem Hass nicht mitmachen". Auch wichtig: sich gut informieren. Gerade soziale Medien sind aktuell voller Falschinformationen. Insbesondere mit Bildern und Videos sollte man sehr vorsichtig umgehen.

Zur Expertin: Miki Hermer ist Referentin der Amadeu Antonio Stiftung , die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert.

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