Julian Assange:Eine Frage der Bewertung

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Für manche ist der Enthüllungsaktivist von Wikileaks einer der wichtigsten investigativen Journalisten weltweit. Andere halten die Darstellung Assanges als Lichtgestalt für übertrieben.

Zum Interview "Russland sah ihn eher als nützlichen Idioten" mit dem früheren Wikileaks-Mitarbeiter James Ball und zu "Sankt Julian", beides vom 13./14. April:

Die Veröffentlichung von Hunderttausenden geheimen US-Dokumenten auf der Wikileaks-Plattform von Assange ist der Beginn einer Hetzjagd gegen Whistleblower, die unter anderem schockierende Bilder von US-Kriegsverbrechen publiziert haben. Hatten die Kriegsberichterstatter des Vietnamkriegs noch freie Hand, weil sie weitgehend unzensiert den grausamen Krieg live in die amerikanischen Wohnzimmer liefern konnten, so wurden sie danach an die Kette gelegt: Zu groß die Gefahr, dass schockierende Berichte den Kriegsgegnern in die Hände spielen. Nur "saubere" Bilder sollen geliefert werden, die schmutzigen Seiten, die Verbrechen, werden retuschiert. Dieser "eingebettete Journalismus" (Embedded journalism) ist zugleich die Geburtsstunde des investigativen Journalismus von Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden.

Sie haben es gewagt, Kriegsverbrechen der Amerikaner in Afghanistan, im Irakkrieg über das Netz zu veröffentlichen. Resultat: Julian Assange, für den Trump 2001 die Todesstrafe gefordert hatte, flieht ins Asyl der ecuadorianischen Botschaft in London und verbringt sieben Jahre in einem 20-Quadratmeter-Raum. Chelsea Manning, den Obama nach sieben Jahren Haft begnadigt hatte, sitzt unter Trump in Beugehaft, weil sie sich weigert, gegen Assange auszusagen. Snowden hingegen sitzt im Moskauer Exil, weil ihm kein westliches Land Asyl gewährt. Man will den großen Bruder nicht verärgern. Es herrscht dröhnendes Schweigen in der westlichen Politik. Nicht die Täter der geheim gehaltenen Verbrechen werden bestraft, sondern die , die sie aufdecken und veröffentlichen.

Thomas Jansen, Kassel

Im Feuilleton schreibt Andrian Kreye über die Verhaftung des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Der mit "Sankt Julian" betitelte Text versucht, ein Charakterbild zu entwerfen, wobei der Autor sich zahlreicher religiöser Vergleiche bedient. Assange wird als "Prophet" bezeichnet, als "Ikone", "Heiligenfigur" und "Märtyrer". Der Artikel wird flankiert von einer Bildmontage, die Assange als Christus darstellt. Der Wikileaks-Aktivist ist jedoch sowohl in gesellschaftspolitischer als auch in menschlicher Hinsicht gescheitert, was der Artikel durchaus herausarbeitet.

Assange im Text mit herausragenden Personen der Heils- und Kirchgeschichte, also mit Propheten und Heiligen, oder in der bildlichen Darstellung sogar mit Jesus Christus zu vergleichen, ist inhaltlich unangebracht. Darüber hinaus verletzt besonders die Bildmontage dazu in der Zeitung meine religiösen Gefühle. Assange ist eine Eintagsfliege im Vergleich zur 2000-jährigen Geschichte des Christentums.

Petra Anna Schiener, Weiden

© SZ vom 14.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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