Horst Seehofer:Fischer am ultrarechten Rand

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Mit seiner Äußerung, die Migration sei "die Mutter aller Probleme", sorgt Bundesinnenminister Horst Seehofer für Irritationen auch bei Leserinnen und Lesern der SZ. Einige halten ihn als Minister nicht mehr für tragbar.

Mit seiner Äußerung, die Migration sei „die Mutter aller Probleme“, sorgt Innenminister Horst Seehofer für Irritationen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

" Merkel widerspricht Seehofer" und " Väter der Unruhe" sowie " Nützlicher Gehilfe" vom 7. September.

Getreu dem Strauß'schen Motto

Es ist immer wieder erschütternd, wie fadenscheinig und durchsichtig Äußerungen von Politikern werden, wenn sie um politische Zustimmung ringen. Warum in aller Welt muss Horst Seehofer jetzt plötzlich den Tod eines Menschen in Chemnitz so ganz besonders empörend finden, dass er sich selbst am liebsten den ach so "besorgten" Bürgern angeschlossen hätte? Ist der Totschlag durch einen Asylbewerber wirklich so viel empörender als beispielsweise der zehnfache Mord durch den NSU?

Dabei ist doch offenkundig, dass Horst Seehofer nur am rechten und ultrarechten Rand des politischen Wählerspektrums fischen möchte, getreu dem Motto aus Zeiten von Franz Josef Strauß, dass rechts von der CSU keine politische Kraft existieren dürfte. Daraus entsteht aber das wirklich Empörende, nämlich dass ein bundesdeutscher Innenminister - vor dem Hintergrund unserer Geschichte! - glaubt, sich mit rechtsnationalen Kräften gemein machen zu müssen, gerne auch mit so zweifelhaften, AFD-affinen Parolen wie der Migration als Mutter aller politischen Probleme. Allerdings liegt das ohnehin auf der Linie eines Politikers, der sich für keinen kompromittierenden Schulterschluss mit demokratie- und europafeindlichen Staatsmännern wie Viktor Orbán zu schade ist, die aus primitiven Motiven heraus alles das einreißen möchten, was in den letzten Jahrzehnten im Geiste eines friedlichen Europas mühevoll aufgebaut wurde.

Prof. Andreas Groethuysen, München

Es reicht

Der Bundesinnenminister verkündet, die Migration sei die Mutter aller Probleme im Land. Im Vorbeigehen beleidigt, diffamiert und entfremdet Horst Seehofer damit Millionen hart arbeitender Menschen. Migranten bauen seit Jahrzehnten an unserem Land mit. Sie zahlen Milliarden Euro an Steuern und Sozialversicherung. Ohne sie würde unser Pflegesystem zusammenbrechen, würden keine Pakete zugestellt, existierten viele Arbeitsplätze gar nicht. Seehofer würde hier sicher einwenden, er habe ja "nur" die seit 2015 ins Land gekommenen Flüchtlinge gemeint. Wäre schlimm und unrichtig genug, aber verstanden wird das von vielen anders. Die Rechten nutzen diesen Ausspruch für weitere Hetze. Die integrierten Migranten fühlen sich ausgegrenzt und zum Fremdkörper, zu einem Übel erklärt. Der Bundesinnenminister gefährdet aktiv den inneren Frieden in unserem Land. Er sollte endlich zurücktreten - es reicht!

Waltraud Schneiders, Seefeld-Hechendorf

Falsches Modell

Es ist nicht zu fassen, mit welcher Fahrlässigkeit unser Innenminister, aus populistischen Gründen und um weiter am Stuhl seiner Kanzlerin zu sägen, Ursachen und Folgen vertauscht. Die Migration ist doch eine der vielen Folgen der von Europa ausgehenden wissenschaftlich-technischen Verwandlungen der Welt, die neben dem vielen Guten, das sie brachten, auch zum (rassistisch gefärbten) Imperialismus und Kolonialismus, zur massiven Ausbeutung fossiler und organischer Ressourcen, zur ungeheuerlichen Entwicklung von Massenvernichtungswaffen usw., usw. führten und, als Folge des auf stetigem Wachstum basierenden ökonomischen Modells, zu Landschaftszerstörung, Ressourcenerschöpfung, Umweltverschmutzung, Wüstenbildung, Wasserknappheit und letztlich zum Klimawandel, bei gleichzeitiger exponentieller Vermehrung der Weltbevölkerung. Nun bitten die Migranten uns Demokraten um Asyl, weil sie in ihren zerrütteten Ländern an Leib und Leben bedroht sind - oder weil sie einfach ein Stück vom Kuchen abhaben möchten, den wir auf ihre Kosten gebacken haben. Dass Horst Seehofer für seinen fatalen Ausspruch so viel Applaus von der AfD bekommt, ist kein gutes Zeichen für ihn - und für unsere Demokratie.

Hans Hochreuter, Wuppertal

Er hat in vielen Dingen recht

Wie wäre es, wenn eine Vielzahl von Journalisten, anstatt Horst Seehofer ständig für seine Aussagen zu kritisieren und als nützlichen Helfer für Populisten und Rechtsradikale zu bezeichnen, einmal schreiben würde, dass er in vielen Dingen mit seinen Äußerungen recht hat; und dass man deshalb auch zur Lösung vieler Probleme natürlich die bürgerlichen Parteien wählen kann und sollte, statt AfD oder andere populistische Parteien. Wer ständig Politiker, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, zu Helfern von Populisten und Radikalen macht, trägt auch mit dazu bei, wenn die politischen Ränder unseres Parteiensytems gestärkt werden.

Manfred Peter, Hannover

Verachtend und untragbar

Um die Ignoranz, Kleinkariertheit und Verachtung - der Tatsachen wie der Menschen - zu ermessen, die in der Einschätzung von Bundesinnenminister Horst Seehofer über Migration als "Mutter aller Probleme" zutage tritt, sei es jedem Leser ans Herz gelegt, über die eigene Biografie nachzudenken. Ich fange bei mir selber an: Vor gut fünf Jahrzehnten kam mein Schwiegervater als Migrant nach Deutschland, als ein Leben in seiner Heimat Afghanistan aus politischen Gründen für ihn untragbar und in Deutschland händeringend Ärzte zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung gesucht wurden. Als Chirurg und Oberarzt hat er vielen Menschen geholfen, ihr Leiden verringert, ihr Leben gerettet.

Ich, Tochter eines nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen migrierten Vaters, der als allseits geschätzter Lehrer Hunderte junger Menschen begleitet hat, habe einen seiner Söhne geheiratet. Wir sind aus dem Norden Deutschlands nach Bayern migriert, wo wir leben, arbeiten, Steuern zahlen, unsere Kinder erziehen, soziale Kontakte knüpfen, Freundschaften pflegen. Wir wohnen in Erlangen, einer Stadt, in der Menschen aus 151 Nationen zusammenleben, deren Geschichte historisch maßgeblich durch die Migration der Hugenotten aus Frankreich geprägt wurde.

Wenn ich meine inzwischen schwerstkranke Mutter besuche, dann danke ich den Pflegekräften, von denen nicht wenige einen Migrationshintergrund haben, für ihren liebevollen Einsatz. Durch sie und die aus Polen stammende Reinigungskraft weiß ich meine Eltern unterstützt und gut versorgt.

Wer Migration auf die Probleme und Herausforderungen, die zweifellos auch mit ihr verknüpft sind, reduziert, der reduziert auch die Menschen, deren Biografie die Migration eingeschrieben ist, auf "ein Problem". Dies ist verachtend und untragbar.

PD Dr. Susanne Greilich, Erlangen

Reif für die Insel?

Falls tatsächlich eine Mutter für alle Probleme identifizierbar sein sollte, sollte man es vielleicht mit dem Kapitalismus versuchen. Europäische Fischfangflotten machen Fischer an der afrikanischen Küste arbeits- und brotlos, Waffenexporte aus Deutschland landen in Krisengebieten (nicht nur Syrien), bringen der Zivilbevölkerung den Tod oder zwingen zur Flucht. Hinter der Erderwärmung steht das "Knetozän"; die Klimakatastrophe führt zu Existenznot, Kriegen und Völkerwanderung.

Ist der Herr nicht reif für die Insel?

Gudrun Katharina Decker, Würzburg

Gefährliche Parteitaktik

Ein Bundesinnenminister, der, statt die Verfassung zu schützen und Verfassungsfeinde aktiv zu bekämpfen, ihre Umtriebe aus parteitaktischen Gründen auch noch verharmlost, ist unhaltbar und muss entlassen werden. Ein Bundesinnenminister, der alle Probleme dieses Landes aus parteitaktischen Motiven auf Migranten schiebt, ist unhaltbar und muss entlassen werden.

Ein Bundesinnenminister, der aus parteitaktischen Gründen ständig gegen seine Chefin stänkert, statt seine komplexen Aufgaben als Innen-, Bau-, und Heimatminister zu erledigen, ist unhaltbar und muss entlassen werden.

Leider ist die Kanzlerin ebenfalls aus parteitaktischen Gründen nicht gewillt, ihrer Richtlinienkompetenz nachzukommen und diesen untragbaren Minister endlich aufs Altenteil zu schicken.

Bedauerlicherweise leistet aber auch die SPD als Koalitionspartner dem unverantwortlichen Treiben dieses Ministers keinen nennenswerten, wirksamen Widerstand. Wenn die in Regierungsverantwortung stehenden Parteien rechtsextremen und demokratiefeindlichen Bewegungen nicht mit aller Entschiedenheit entgegentreten, muss es nicht verwundern, wenn die sogenannte schweigende Mehrheit sich weiterhin schweigend und indifferent verhält. Aus der Geschichte der Weimarer Demokratie wissen wir, wie fragil demokratische Strukturen sind, und wie wichtig es ist, Angriffen auf die Demokratie von Anfang an machtvoll entgegenzuwirken.

Entwicklungen in Europa und in den USA in Richtung auf autokratische, autoritäre Regime zeigen, wie wichtig es ist, dass sich demokratische Parteien um die Lösung tatsächlich vorhandener sozialer, ökonomischer und ökologischer Probleme so kümmern, dass die Menschen sich ernst genommen fühlen. Parteipolitisch motivierte Rabulistik ist das Letzte, was Bürger von unseren Parteien erwarten.

Hans Schächl, Isernhagen

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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