Helmut Kohl:Der Staatsakt bleibt in Erinnerung - das Ehrenwort auch

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Bill Clinton hat gesprochen, die Kanzlerin auch: Der europäische Staatsakt für Helmut Kohl war aber aus einem anderen Grund für Leser besonders. Andere wollen sein Ehrenwort nicht vergessen.

"Verneigung in Straßburg" vom 3. Juli, "Familienbande" vom 26. Juni und "Vergesst nicht die Wirtschaft" vom 24./25. Juni:

Kleinmut hinter sich lassen

Die Europafahne auf Helmut Kohls Sarg, übrigens bei Fehlen jeglicher nationaler Zeichen, war eine Aussage, die rührte. Bereits 1962 in einer Völkerrechts-Vorlesung in Bonn hat Professor Ulrich Scheuner ausgeführt, dass auf einer gedachten Linie von Staatenbund zu Bundesstaat die damalige EWG die Mitte bereits weit überschritten habe. Und von der EG und der EU war damals noch nicht die Rede. Nach 55-jähriger CDU-Mitgliedschaft wünsche ich mir, dass diese ausgewiesene Europapartei allen Kleinmut hinter sich lässt (es gebe kein europäisches Staatsvolk!) und sich zum Ziel eines europäischen Bundesstaates bekennt. Es ist klar, dass sich dies derzeit nicht mit allen Partnern durchsetzen lässt. Das Konzept der "unterschiedlichen Geschwindigkeiten" und das Ausscheiden Großbritanniens eröffnen aber manche Perspektive - den Mutigen. Prof. Helmut M. Schäfer, Koblenz

Von wegen Provinzler

Bewundernswert, wie dieser so oft als provinziell geschmähte Titan der europäisch geprägten Wiedervereinigung nun alle Provinzialität hinter sich gelassen hat, indem er die Weichen stellte weg von Berlin hin zu seinem europäischen Trauerakt in Straßburg. Bezüglich der Spendengelder für seine CDU-Famiglia ging Helmut Kohl autokratisch an die Grenze.

Er bleibt mir auch als der Verbitterte in Erinnerung, der seine Söhne verstieß und dem angesichts des unvermittelten Auftauchens von Angela Merkel auf dem abendlichen Oggersheimer Bildschirm ein Satiriker treffend die jähzornige Aufforderung an seine zweite Gattin unterstellen konnte: "Maige, duu diese böse Frau da weg! "Albrecht Thöne, Schwalmstadt

Man schämt sich für die Pfiffe

Zum Streit in der Familie Kohl kann ich nur sagen: "Das Wort 'Familienbande' hat einen Beigeschmack von Wahrheit" ist ein altes Bonmot von Karl Kraus mit offenbar ewig neuem Wahrheitsgehalt. Das sollte aber nicht das Urteil über eine ganze Kanzlerschaft bestimmen.

Als jemand, der an die 16 Jahre Kanzlerschaft von Helmut Kohl nicht nur gute Erinnerungen hat und eher auch an eine "bleierne Zeit" denkt, möchte ich aber eines bemerken: Als Berliner schäme ich mich noch heute für die Pfiffe, die Kohl einen Tag nach dem Mauerfall im November 1989 vor dem Berliner Rathaus Schöneberg entgegengellten, als er ohne lange zu zögern seinen Warschau-Besuch abbrach, um nach Berlin zu eilen. Denn der Pfälzer Kohl war offenbar auch ein verkappter Preuße, ohne dessen leidenschaftliches Eintreten in der entscheidenden Debatte im Bundestag es keinen Umzug von Regierung und Parlament von Bonn nach Berlin gegeben hätte.

Wenn es nach vielen Mitgliedern seiner eigenen Partei und zum Kummer von Willy Brandt auch nach vielen Sozialdemokraten gegangen wäre, wäre das "Mondfenster" deutsche Einheit ungenutzt vorübergegangen. Kohls Besuch am Sterbebett von Willy Brandt sagt mehr als tausend Worte. Für beide stand die "Hauptstadt Berlin" nicht nur auf dem Papier des Grundgesetzes.

Dass Kohl allerdings auch die negative Seite des Preußentums mit der berüchtigten "Nibelungentreue" verkörperte, zeigte sein Verhalten in der Spendenaffäre, in der er meinte, ein "Ehrenwort" nicht brechen zu können, und damit seine gesamte Kanzlerschaft unnötigerweise überschattete. Wilfried Mommert, Berlin

Woanders heißt das Omertà

"Die Parteispendenaffäre wird zur Fußnote der Geschichte", schreibt Marc Beise in "Vergesst nicht die Wirtschaft" - ganz sicher nicht!

Bei vielen Geschichten läuft doch nebenbei ein Film im Kopf ab: Da sitzt der Parteivorsitzende mit Wirtschafts- oder sonstwie Mächtigen zusammen und redet über den Finanzierungsbedarf und die Möglichkeiten der Finanzierung durch Spenden - und das sicher nicht nur ein Mal. Dann stellt sich heraus, dass die benötigten Summen die Veröffentlichungsschwelle überschreiten. Die offensichtliche Abhängigkeit der Partei von bestimmten Personen oder Branchen soll jedoch nicht bekannt werden. Durch die gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung der Spenden an Parteien soll aber genau diese Abhängigkeit transparent werden, damit sich der Wähler ein Bild machen kann. So weit die Theorie. In der Praxis haben sich im Hinterzimmer Menschen verabredet, diese Dinge gerade nicht öffentlich und nicht transparent zu machen und so die Gesetze zu brechen und die Wählerinnen und Wähler im Unklaren zu lassen.

Die Geber sagen natürlich nichts, der Empfänger muss - als erstes Zeichen der Abhängigkeit - versprechen, nichts von dem Deal verlauten zu lassen.

Was hat Helmut Kohl als Gegenleistung außer Schweigen noch versprochen? Welche Entscheidungen sind im Sinne der Partikularinteressen der Geber gefallen? Wie haben diese sich auf deren Geschäftserfolg und möglicherweise zu meinen Ungunsten als Wählerin ausgewirkt? Dann hat Kohl natürlich viele gute Gründe, die Spender zu verschweigen - nicht nur seine Ehre, die er mit dem Ehrenwort verpfändet hat.

Dazu kommt das Verschwinden der Akten, die im Kanzleramt lagerten. Um diese Akten gab es schon eine Affäre, als der seinerzeitige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier dieses Fehlen amtlich hat untersuchen lassen. Die Akten sind jetzt allem Anschein nach im Privathaus Kohls. Die gehören nach wie vor der Öffentlichkeit, die ein Recht hat, innerhalb der gesetzlichen Vorschriften über die Vorgänge während der Kanzlerschaft informiert zu werden.

Auch über diese gesetzlichen Vorschriften hat sich Kohl hinweggesetzt - mithilfe der Beamten, die für die gesetzliche Archivierung verantwortlich waren.

In beiden Fällen - in wie vielen noch? - haben sich mehrere Personen unter der Führung von Helmut Kohl dazu verabredet, Gesetze zu brechen. Woanders nennt man das organisierte Kriminalität, und das Schweigen darüber heißt Omertà und nicht "Fußnote der Geschichte".

Anna Sabine Lomeier, München

Unvollendete Werke

Herzlichen Dank an Marc Beise für den Kommentar "Vergesst nicht die Wirtschaft". Ich hatte schon befürchtet, in der Trauer um den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl wäre allgemein der Verstand abhandengekommen. Ja, entschlossen und entschieden nach der Herstellung der Einheit Deutschlands zu greifen, wird unvergessen bleiben. Ja, Europa zu einer Union zu fügen, war richtig.

Es hätte seine Werke aber vollendet, hätte Helmut Kohl die wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen dabei so mitgestaltet, dass die Einheit Deutschlands nach einer Generation vollendet wäre und dass die EU nicht seit fünf Jahren um ihr Überleben kämpfen müsste. Als promovierter Historiker die Auswirkungen seines Handelns nicht einschätzen zu können und die Abhängigkeiten vom "Wirtschaften" nicht erkennen zu wollen, bedeutet nichts weniger, als den Anforderungen nicht gerecht geworden zu sein. Den Anforderungen an sein Amt als Bundeskanzler.

Als Europäer hat er eine große Leistung erbracht. Für Deutschland und für Europa. Der europäische Staatsakt für den Verstorbenen ist deshalb konsequent und wird den Leistungen Helmut Kohls gerecht. Michael Odenthal, Kiel

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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