Hassrede:Über die Grenzen des Anstands

Lesezeit: 5 min

Das Urteil über die Zulässigkeit harter Beleidigungen der Politikerin Renate Künast hat die Debatte neu entfacht: Wie viel Schmutz ist tolerabel? Die Anonymität von Kommentaren im Netz zu beschränken könnte ein Weg der Besserung sein, meint ein Leser.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Zu " Gefährliche Rede" vom 27. September, " Allein gegen die Barbarei" und " Mehr als grenzwertig" vom 21./22. September sowie zu " Spezialisten gegen Hetzer im Netz" vom 20. September:

Anonymität im Netz eindämmen

Eines der Kriterien der Strafbarkeit von "Hasskommentaren" lautet Öffentlichkeit. Öffentlichkeit impliziert ein Publikum, aber auch einen offen zu identifizierenden Absender eines Kommentars. Und dessen Identifizierung ist in der anonymisierten Welt des Internets nicht mehr gegeben. Damit versagen die traditionellen, ohnehin geschwächten Mechanismen, und es greift nicht mehr, was die Soziologie mit sozialer Kontrolle meint: Der anonyme Hasskommentator braucht seine Sanktionierung durch die Öffentlichkeit nicht zu fürchten.

Anonymität war immer ein Wegbereiter der Denunziation. Das Problem der Hasskommentare ist nicht nur ein juristisches. Kein Medium veröffentlicht anonyme Leserbriefe - außer den Internetforen. Hier sehe ich einen wichtigen Ansatz neben dem juristischen.

Hans H. Hapke, Freiburg

Respekt vor Parlamentariern

Einiges scheint aus den Fugen geraten zu sein. Nicht nur das Klima allgemein, offensichtlich auch innerhalb der Gesellschaft. Welche Maßstäbe gelten denn noch, es werden doch überall Werte, Respekt und Achtsamkeit postuliert? Vielleicht wäre das Postulat einer wirklichen Streitkultur angebrachter. Ritualisierte Auseinandersetzungen, verbal als auch körperlich, könnten uns sicher weiterbringen. Ist die Gewöhnung an verminderten Anstand, an den täglich zu erlebenden unflätigen Umgang einfach zu groß geworden? So groß und verinnerlicht, dass ein Gericht den Beklagten von Frau Künast indirekt recht gibt, indem es diese "Hetze und Hass" als Meinungsfreiheit deklariert? Ungeheuerlich.

Vielleicht sind ja die beiden Berliner Richterinnen und der Richter teflonbeschichtet. Das erhoffe ich mir von der nächsten Instanz nicht. Mein Bild von der Justiz wurde wieder einmal getrübt. Ist Gerichten eigentlich klar, welcher wesentliche Teil unserer Demokratie sie sind und welch hohe Verantwortung sie damit für die Gemeinschaft haben? Frau Künast sei gedankt für ihr Engagement und ihre Beharrlichkeit. Auch wenn ich mit vielen politischen Entscheidungen nicht einverstanden bin, so schätze ich prinzipiell die Parlamentarier und Politiker unseres Landes.

Elisabeth Rind-Schmidt, Bernried

Ungenaue Übersetzung

Im Artikel "Gefährliche Rede" hat sich die SZ auf eine schlechte Übersetzung verlassen. In den USA werden die "Weißen" als "caucasian" bezeichnet. Es geht also nicht um die Unterdrückung der "kaukasischen Rasse", sondern um die, in Brandenburgs Augen, Unterdrückung der Weißen.

Der Begriff Kaukasier, englisch caucasian, geht auf die von Johann Blumenbach 1795 eingeführte Bezeichnung für hellhäutige Menschen zurück, die in englischsprachigen Ländern, vor allem in den USA, heute noch üblich ist. So taucht in vielen Büchern und Filmen, die in den USA spielen, immer wieder der Begriff "Kaukasier" auf, der sich aber nicht auf Bewohner des Kaukasus bezieht, sondern auf Menschen mit heller Hautfarbe, weil die Übersetzer oder Übersetzungsprogramme ungenau arbeiten.

Stefan Sidak, Traunwalchen

Justiz soll allen helfen

Recht einseitig erscheint mir der Artikel "Mehr als grenzwertig" von Herrn Janisch. Zwar ist es tatsächlich mehr als widerlich, was Frau Künast derzeit widerfährt, aber es stellt sich unweigerlich die Frage, was mit all den anderen Leidtragenden ist, die keine politische Funktion innehaben. Ist es bei diesen "Namenlosen" nicht genauso wichtig, dass die Justiz handelt? Wie viele Menschen werden tagtäglich durch Social Media verunglimpft und diffamiert, und dies auf Arten und Weisen, die wesentlich schlimmer sind als bei Frau Künast?

Was ist mit all den Menschen, die dadurch so stark psychisch belastet sind, dass sie psychiatrisch behandelt werden müssen? Was ist mit den Menschen, die aufgrund der erhaltenen Hetznachrichten Suizid begehen? Meines Erachtens nach leiden hier nicht nur betroffene Politiker - es leiden alle, die von solch grauenvollen Herabsetzungen betroffen sind. Die Justiz sollte hier allen helfen, nicht nur Politikern.

Susanne Weber, Ebersberg

Richter nicht diffamieren

Macht das Urteil des Landgerichtes Berlin in dem Rechtsstreit von Frau Künast wirklich nötig, die Richterinnen und den Richter der 27. Zivilkammer namentlich zu nennen? Damit könnte der nächsten Diffamierung von Personen Tür und Tor geöffnet worden sein. Das hängt davon ab, wie sehr die Menschen, die das Urteil schlimm finden, zur Selbstbeherrschung in diesem emotional geführten Diskurs fähig sind.

Die Entscheidung zulasten von Frau Künast trägt zwei Probleme in sich. Einmal wird sie durch das von ihr behauptete (und offenbar bewiesene) Verhalten als eine Person angegriffen, die eine Meinung äußert. Sie soll eingeschüchtert werden, sie soll ihre Meinung für sich behalten, sie soll sich vielleicht dem anpassen, was in gewissen Kreisen als "gesundes Volksempfinden" bezeichnet wird. Des Weiteren sind die gewählten Begrifflichkeiten bestimmt, ihr Selbstwertgefühl herabzusetzen. Frau Künast wird als Person angegriffen. Der ihr vielleicht nur unterstellte Standpunkt dient dafür ausschließlich als Vorwand.

Die Justiz insgesamt versagt mit dem Urteil, weil sie Artikel 5 Grundgesetz zugunsten von Einschüchterung hochhält und die Wirkung gerichtlicher Entscheidungen auf die Freiheit von Frau Künast und vieler anderer Menschen, weiterhin ihre Meinung äußern zu wollen, ausblendet.

Die Justiz insgesamt versagt mit dem Urteil, weil sie nicht begreift, dass die Äußerung selbst eines verwerflichen Standpunktes Teil der demokratisch notwendigen Auseinandersetzung ist. Die Justiz begreift nicht, dass die auf die Person bezogene, herabsetzende Beschimpfung nicht Teil der demokratisch notwendigen Auseinandersetzung ist. Die auf eine Person bezogene, herabsetzende Beschimpfung ist nicht erforderlich, und sie stellt keinen Standpunkt dar. Sie trägt weder zum Erkenntnisgewinn noch zur Verständigung über akzeptierte und nicht akzeptierte Standpunkte bei.

Dieses Urteil ist aber kein persönliches Versagen der Richter, sondern ein Versagen einer Kammer des Landgerichtes Berlin, des Landgerichtes selbst und der Justiz. Die Richterinnen und der Richter der 27. Zivilkammer des Landgerichtes Berlin haben das Urteil im Namen des Volkes gesprochen, nicht im eigenen Namen. Solange sie nicht dadurch auffallen, dass ihre Entscheidungen regelmäßig geprägt sind von persönlichen Vorurteilen, müssen sie ihre Aufgabe wahrnehmen können, ohne persönlich angreifbar gemacht zu werden.

Frau Künast bedarf, wie wir alle, des Schutzes einer starken, unabhängigen, unparteiischen Justiz. Diese werden wir nicht erhalten, wenn Richter nach Entscheidungen persönlich an den Pranger gestellt werden. Das gilt besonders bei zweifelhaften Entscheidungen.

Michael Odenthal, Kiel

Ein Fehlurteil

Die Mittel werden bekanntlich vom Zweck nicht automatisch gerechtfertigt, sondern bedürfen einer davon unabhängigen Kontrolle. Diesen Mechanismus hat das Berliner Landgericht im Fall Künast aus den Augen verloren, indem es übelste verbale Entgleisungen anonymer Blogger durch einen angeblichen Zusammenhang mit sachlichen Problemen im vermeintlichen Interesse der freien Meinungsäußerung durchgehen lässt. Das Berliner Fehlurteil - hoffentlich wird es vom Kammergericht kassiert - ist indessen nicht im luftleeren Raum entstanden. Den Anstoß für eine solche Rechtsprechung gab das Bundesverfassungsgericht, dessen neuere Rechtsprechung zur sogenannten Schmähkritik es tatsächlich geschafft hat, die Grenzen gemeinverträglichen Umgangs zulasten der persönlichen Ehre kritisierter Personen zu schleifen und rüde Hassrede zu rechtfertigen, wenn nur irgendein Sachzusammenhang konstruiert werden kann.

Dass scharfe und gerne auch krass verfehlte Kritik auf eine andere als unflätige Weise geäußert werden kann, gerät aus dem Blick. Die Rechtsprechung trägt so Mitverantwortung für unerträgliche Pöbeleien im Netz.

Hansjörg Staehle, München

Geschmacklose Meinungsfreiheit

Welchen katastrophalen Verhältnissen müssen Damen und Herren der Zivilkammer entstammen, wenn sie vulgäre Beschimpfungen als durchaus hinnehmbar beurteilen? Welche akademische Interpretation demokratischer Meinungsfreiheit macht Geschmacklosigkeit gesellschaftsfähig? Fallen Urteile dieser Kategorie in weit klaffende Gesetzeslücken, bedarf es einer schnellen Schließung der Lücken und dringender Gesetzesüberarbeitung. Den gesellschaftlichen wie globalen Klimawandel aufzuhalten, ist Aufgabe des Staates.

Friederike Karsten, München

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: