Grüne:Wo sind sie geblieben?

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Die Grünen sind bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen von 11,3 auf 6,4 Prozent abgestürzt. Und auch die Prognosen für die Bundestagswahl sind nicht rosig. Woher kommt die Krise der Grünen? Leser haben darüber nachgedacht.

Mit den Zielen der grünen Gründergeneration werden heute hohe Umsätze gemacht: Gert Bastian, Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck (von links) feiern 1983 den Einzug ihrer Partei in den Bundestag in Bonn. (Foto: Hartmut Reeh/dpa)

"Schlecht für die SPD" vom 16. Mai und weitere Artikel über die Grünen:

Babyboomer als Ansprechpartner

Die Wahlschlappen der Grünen haben natürlich etwas mit ihrem neuen Führungspersonal zu tun. Beide mögen gute Parteitechnokraten sein, sie haben aber darüberhinaus kaum eine echte Anziehungskraft. Hinzu kommt natürlich die Überalterung der Partei an sich, die als solide Basis überwiegend in die Jahre gekommene erfolgreiche Babyboomer anspricht. Mit den ehemals revolutionären Zielen werden heute Umsätze gemacht. Der Bundesverband der chemischen Industrie ist den Grünen dankbar für die innovativen Impulse, Joschka Fischer und Co. umgeben sich mit Siemens- und BMW-Vorständen, und der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg pflegt beste Kontakte zu den bedeutenden Autofirmen im Ländle. Schon Barack Obama war neidisch auf die geniale Umweltindustrie, für die die Partei wesentliche Impulse gegeben hat.

Spätestens seit der Merkel'schen Energiewende nach dem japanischen Reaktorunfall sind die Grünen politisch fast überflüssig geworden. Das neue Führungsduo symbolisiert diesen Übergang von einer innovativen Protestpartei zu einem konservativen Machterhaltungsverein. Angela Merkel hat die bedeutsame Prägung der Republik durch grüne Politik selbst viel zu stark verinnerlicht, als dass die Partei heute noch anziehend wirkt. Der Partei droht daher ein ähnliches Schicksal wie der FDP unter Guido Westerwelle, wenn sie nicht ganz schnell ihre Selbstverliebtheit aufgibt und sich neu erfindet. Dr. Klaus Dierlich, Düsseldorf

Angst vor Rot-Rot-Grün

Die Ängstlichkeit, die Kurt Kister dem Spitzenduo der Grünen in "Schlecht für die SPD" attestiert, hat auch einen ganz erheblichen Teil ihrer Wählerschaft ergriffen: Jene, die bei den jüngsten Landtagswahlen den Gang zur CDU angetreten haben. Und diese bürgerlich-konservative Wählerschaft hat allen Grund dazu, denn wer im Herbst bei der Bundestagswahl die Grünen wählt, riskiert Rot-Rot-Grün. Wer bei den Büros der Spitzenkandidaten nachfragt, erhält als Antwort, derlei sei schwer vorstellbar; das reicht aber nicht, um einen politischen Albtraum für ausgeschlossen zu halten. Denn die Urwahl der Grünen ist nichts anderes als eine Farce: Kaum waren die Kandidaten bestimmt, meldete sich der grüne Hohepriester und Großinquisitor in Personalunion, Jürgen Trittin, zu Wort und beanspruchte für sich ein Ministerium. In welcher Regierung, ist unzweifelhaft, hat Trittin doch organisatorisch mit mehreren Abgeordnetentreffen im Herbst ein unübersehbares Wetterleuchten in rot-rot-grünen Farben an den politischen Horizont gezaubert.

Selbst grüne Stammwähler werden bei der Bundestagswahl also ihr Kreuz woanders oder gar nicht machen müssen. Bedauerlich, hatte die Wiederwahl von Winfried Kretschmann mit hohen Stimmgewinnen doch deutlich gemacht, wie gewaltig der strategische Durchbruch ausgefallen ist. Ein schwarz-grünes Reformbündnis hätte dem Land einen mächtigen Modernisierungsschub verpassen können. Die CSU hätte bei ausreichend starken Grünen übrigens gar nicht dabei sein müssen - die Grünen hätten zum Beispiel in Bayern gezielt jene konservativen Wähler ansprechen können, die Merkel, aber nicht CSU wählen wollen. Alexander Preuße, Göttingen

Alleinstellungsmerkmal suchen

Die Grünen sind groß geworden mit einem damals sehr kontrovers diskutierten Alleinstellungsmerkmal: dem Atomausstieg. Heute sind Rot/Schwarz/Gelb/Grün zumindest in der Außenwahrnehmung irgendwie austauschbar, lediglich Spezialisten können bei einzelnen Themen Differenzierungen benennen. Und wenn dann noch die notwendigen Kompromisse in der praktischen Regierungsarbeit dazukommen, kommt ein eigenes Profil endgültig unter die Räder. Angenommen, die Grünen würden ein kontroverses, emotionales Thema wie das bedingungslose Grundeinkommen als Top-Thema für sich okkupieren - was gefühlt nur noch halb so viel Mut erfordern würde wie damals das Thema Atomausstieg - gäbe es endlich ein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal, mit dem mindestens 15 bis 25 Prozent der WählerInnen auch emotional (!) angesprochen werden können, das zusätzlich eine große mediale Aufmerksamkeit garantiert, und somit die Grünen wieder ins Gespräch bringen würde.

Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion haben dazu schon 2006 in einem Papier vorgerechnet, dass das machbar ist - man bräuchte also nur noch in die Schublade greifen. Aber dazu bräuchte es eben wenigstens den halben Mut der Gründergeneration. Christopher Bodirsky, Hannover

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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