Geschlechter:Abschaffen oder beibehalten?

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Nele Pollatschek will die Frauen abschaffen, doch nicht alle Leserinnen wollen das. Ein anderer stellt auch die Männer zur Disposition. Was würde das bringen?

Manche Schneckenarten sind Zwitter oder ändern ihr Geschlecht im Laufe des Lebens. (Foto: dpa)

Zu "Schafft die Frauen ab" vom 19./20. Februar:

Klar definiert

Wenn nicht fast täglich über Herrn/Frau Ganserer berichtet würde, würde ich den Artikel für einen Scherz halten. Einen schlechten allerdings: Der Duden definiert "Frau" als weiblich, dem gebärenden Geschlecht angehörend. "Müsste der Duden diesen Sprachwandel nicht abbilden?" Welchen Sprachwandel? Den von den Grünen und der SZ propagierten? Auf der Straße gibt es keinen: Mann und Frau sind klar definiert. Transgender sind 0,3 bis 0,6 Prozent der Bevölkerung. Diese Minderheit wird benutzt, um mich als Frau zu bedrohen: "Wirklich wissen können wir es erst im Falle einer Schwangerschaft" (ob eine Frau eine Frau ist). Wollen Sie den kinderlosen Frauen ihr Frausein absprechen? Oder geht es darum, die berechtigten Forderungen von Frauen zu verwässern, Stichwort Frauenquote, Gender-Pay-Gap? Das wäre besonders perfide. Klar, Presse kann provozieren. Aber der Satz: "Anstatt zu fragen: Was ist eine Frau?, wird es nicht Zeit, Frauen endlich abzuschaffen?" Wie bitte? Was fällt Ihnen eigentlich ein? Ich möchte nicht abgeschafft werden, weder von Ihnen als Person noch von der SZ noch von den Grünen.

Gisela Kranz, Oberschleißheim

Niemand bevormunden

Oje, Pollatschek! Frau darf man zu Ihnen jetzt wohl nicht mehr sagen, richtig? Ich bin ein Mann, verheiratet mit einer Frau. Seit mehr als 25 Jahren. Ich möchte sie nicht abschaffen. Ich habe meiner Frau Ihren Artikel gegeben und sie gefragt, ob sie abgeschafft werden möchte, und sie hat Nein gesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Ausführungen irgendetwas mit der gelebten Realität von Leuten zu tun haben. Aber bitte: Es sollte jedem Menschen freigestellt werden, sich selbst abzuschaffen. Aber soll man irgendjemandem gestatten, andere mit so einem Unsinn zu bevormunden? Ich meine: Nein.

Stephan Gebhardt-Seele, Kolbermoor

"Hättest du geschwiegen"

Der Artikel regt zum Nachdenken an: zuerst die Frage, ob es sich um Satire handelt. Oder Gesellschaftskritik. Oder Philosophie im extremen Randbereich. Oder literarische, philosophische Scharlatanerie. Dann am Ende die Vermutung, dass Nele Pollatschek ihre Gedanken ernst meint. Oder will sie mit ihrer Sicht der Dinge lediglich bekannt werden, Follower finden und ihre literarische Ader zum Steigern des Bekanntheitsgrades nützen? Es bleiben viele Fragezeichen. Biologisch, anthropologisch, naturwissenschaftlich, philosophisch, soziologisch, am Ende auch politisch-emanzipatorisch, feministisch scheint die Philosophin und Literaturwissenschaftlerin eine Sprache zu sprechen oder in ihren Gedanken gefangen zu sein, die von der Wirklichkeit weit entfernt ist.

Den Großteil der Menschen interessiert die Wegdefinition der biologischen oder soziologischen Geschlechtlichkeit nicht. Fraglich ist, ob die von Frau Pollatschek angeregte Änderung der Begrifflichkeiten von Frau und Mann eine menschliche Verbesserung bringen würde. Müßig, über solche Philosophien zu diskutieren. Vielleicht lassen sich die Gedanken unter künstlerisch-feuilletonistischer Sprachnihilistik subsumieren? Wer weiß es außer der Autorin. Am Ende gilt für die sich einst im Studium auch mit Philosophie beschäftigende Frau Pollatschek: "Si tacuisses, philosophus (männlich) mansisses!" (Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben.)

Christian Günthör, Döhlau

Revision von altem Ballast

Vielen Dank für den genialen Beitrag. Ich würde ihn noch um einen Aspekt erweitern: Auch die Kategorie "Mann" sollte abgeschafft werden. Denn die Frage, ob Mann oder Frau, wird ja gerade durch das jeweils "Nicht-Andere" definiert. Seien wir doch ehrlich: Mit den seit Jahrtausenden existierenden Zuordnungen (siehe Schöpfungsbericht) haben viele Männer und Frauen ganz komfortabel leben können. Jede(r) wusste - oder sollte wissen -, welche Rolle ihm/ihr von Gott oder der Natur zugewiesen sei. Wem es gelang, sich in der Zuordnung wiederzufinden und sich damit zu arrangieren, hatte es vielleicht gar nicht so schlecht, weil man von der Last der Definition des eigenen Wesens befreit war.

Im "Gelingen" und "Sollen" liegt aber das Kernproblem. Es gelang weder allen Frauen noch allen Männern, sich in eine kategorisierte Rolle einzuordnen oder einordnen zu lassen - weder biologisch noch sozial oder in sonst irgendeiner Weise. Man wollte eben nicht so sein, wie man als Frau oder als Mann sein sollte. Das war weder vor 5000 Jahren so, noch ist es heute der Fall. Menschen nach vermeintlich eindeutigen, sichtbaren Geschlechtsmerkmalen einzuteilen und daraus gewisse Erwartungen abzuleiten, war einfach und ist es heute noch. Das Ganze hat sich dermaßen verfestigt, dass heute - trotz besseren Wissens - viele nicht mehr davon loslassen können oder wollen. Aber warum denn eigentlich nicht?

Machen wir aus dem "Ein Mann ist und soll .../ Eine Frau ist und soll ..." doch ein "Dieser Mensch kann oder will ...". Das hieße, althergebrachte Grundfesten unserer Kultur infrage zu stellen. Eine Revision von altem Ballast sollte nicht schaden. Ich bin überzeugt, dass sowohl Frauen als auch Männer davon profitieren würden, nur noch als "Menschen mit individuellen Merkmalen und Eigenschaften" betrachtet zu werden.

Stefan Wülfert, Staufen

Abschaffen ist keine Lösung

Was Frau Pollatschek hier konstatiert, ist kompletter Unsinn. Da ich Biologin bin, kenne ich mich mit den Schneckenarten ein wenig aus. Schneckenarten mit Menschen zu vergleichen, ist wirklich gewagt. Nach dem Lesen dieses Artikels bleibt bei mir hängen: Frau Pollatschek ist grundsätzlich gegen alles, sie findet die Grünen schlecht und die Frauenquote. Zudem möchte sie gerne die Geschlechter abschaffen. Es ist sehr leicht, gegen alles zu sein, ohne konkrete Vorschläge zu machen, wie es besser geht. Geschlechter sind biologisch definiert und zwar über das Vorhandensein eines XX-Chromosomensatzes oder eines XY-Chromosomensatzes. Dies ist biologisch auch im Tierreich so und nachvollziehbar. Das Problem, das durch Zwitter oder genetische "Andersartigkeiten" besteht, ist nicht abzuschaffen, indem man die Geschlechterrollen abschafft.

Auch in der tierischen Welt gibt es Chromosom-Mutationen beziehungsweise Andersartigkeiten. Dass es für Menschen, die in ein Geschlecht geboren sind und sich dem anderen zugehörig fühlen, nicht einfach ist, ist klar. Dem wird heute versucht, so gut es geht, Rechnung zu tragen. Das neue Geschlecht "divers" hilft. Warum verliert Frau Pollatschek darüber kein Wort? Ist sie es vielleicht, die unbedingt alles in eines der zwei vorhandenen Geschlechter Mann und Frau pressen will, obwohl sie gleichzeitig die Geschlechter abschaffen möchte? Bei mir hinterlässt der Artikel Fragezeichen und Unmut.

Sabine Jelinek, München

© SZ vom 03.03.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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