Fall Maaßen:Vertrauen verspielt

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Die große Koalition hat nach Meinung von Lesern bei der Jobsuche für Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen ein trauriges Bild abgegeben. Dass die Regierung fast an einer Personalie gescheitert wäre, lasten viele Horst Seehofer an.

Handschlag mit Folgen: Horst Seehofer und Andrea Nahles nachdem die Koalitionsspitzen Hans-Georg Maaßens Beförderung ausgehandelt hatten. (Foto: John Magdougall/AFP)

" Die Unbegreiflichen" vom 22./23. September, " Einer geht noch" und "Zwischen Umbau und Demontage" vom 20. September, "Maaßen wird abgelöst - und befördert" vom 19. September sowie weitere Artikel zum Fall Hans-Georg Maaßen:

Sturm im Wasserglas

Was mutet die Politik ihren Bürgern und Wählern eigentlich an Tiefgang noch zu? Über Tage ein Machtkampf (-krampf) um ein Persönchen und Pöstchen. Die SPD wird sicher eine gewaltige Durchsetzungskraft und einen Sieg reklamieren. Mehr als ein Aufstand der Zwerge war es nicht. Im Gegenteil, was ist rausgekommen, wo haben Horst Seehofer, Hans-Georg Maaßen und Co. wirklich einlenken müssen? Im Ergebnis des unwürdigen Polittheaters dürften sich Seehofer bis Maaßen bei den Patrioten der braunen Front und ihrem Fußvolk noch als Helden empfohlen haben.

Warum will und kann die SPD die Koalition nicht sprengen? Ganz einfach. Neuwahlen würden eine SPD nicht mehr auf Regierungsbänken sehen.

Roland Winkler, Aue

Nicht zu verantworten

Warum sagt SPD-Chefin Andrea Nahles nicht, dass angesichts der derzeitigen internationalen Lage ein Bruch der Koalition nicht zu verantworten ist?

Christine Ruth Topp, München

Reif für die Gruppentherapie

In der Psychologie wird das Phänomen der Derealisation beschrieben. Wer darunter leidet, hat eine abnorme, verfremdete Wahrnehmung seiner Umwelt. Sie kann als Folge einer Angstpsychose auftreten und wird zur Gruppe der Ich-Störungen gezählt. Vielleicht sollten die Berliner Koalitionäre eine Gruppentherapie erwägen. Immerhin geben sie selbst zu, sie hätten sich geirrt. Wegen einer Personalentscheidung habe man nicht die Stabilität der Regierung eines wichtigen Landes gefährden wollen. Nun sei es ein Zeichen von Größe, einen Fehler einzugestehen.

Wirklich? Vor allem ist es ein Zeichen von Realitätsverlust. Natürlich kann man Fehler begehen. Aber Fehler ist nicht gleich Fehler. Denn es macht einen Unterschied, ob man beim heimischen Rasenmähen zu wenig Benzin in den Tank gefüllt hat oder bei einem Linienflug von Berlin nach Köln-Bonn. Es macht einen Unterschied, ob ein Abteilungsleiter im Finanzministerium es nicht so genau mit Zahlen nimmt oder der Chef der Verfassungsschutzes mit der Treue zum Grundgesetz. Der eine kann den Staat ein paar Steuereinnahmen kosten, der andere rührt an die Grundfesten der Demokratie.

Viel verheerender als Maaßens Verhalten ist, dass SPD-Chefin Andrea Nahles und Kanzlerin Angela Merkel aus lauter Angst vor "den Sorgen der Menschen" sich vom ich-gestörten Seehofer haben erpressen lassen, dass sie die Gefahr für Akzeptanz und Bestand der Demokratie darin nicht erkannt, dass sie in grotesker Verkennung der Prioritäten den Koalitionserhalt über die Grundwerte von Politik und Verfassung gestellt haben. Das zeugt von beängstigendem politischen Realitätsverlust. Statt zu glauben, die irren, angeblichen Sorgen der AfD-Wähler ernst nehmen zu müssen, sollten die Regierenden die realen Gefahren für die Demokratie in diesem Lande ernst nehmen. Und konsequent bekämpfen mit selbstbewusster Prinzipientreue, politischem Weitblick und geduldiger Aufklärung.

Michael Christiansen, Humptrup

Schwarzer-Peter-Spiel

Als Planer kann ich mir doch so manches vorstellen und ausdenken. Aber so etwas? Nein. Wirklich nicht! Da wird ein Amt missbraucht, da werden Grenzen missachtet, da werden Vermutungen als Fakten verbreitet, der Staat wird zur Beute, Mitarbeiter der "falschen" Partei sollten frühzeitig in die Wüste, in den Ruhestand geschickt werden - nur um Platz zu schaffen für den nach Aktenlage eindeutig "Falschen". Und jetzt sollte für diesen "Falschen" die Koalition brechen? Ich fürchte, hier verfolgen manche nur ein Ziel: Den Sturz der Kanzlerin, koste es, was es wolle.

Und danach wurde wieder in bewährter Weise "Schwarzer Peter" gespielt. Obwohl der bzw. die Täter bekannt waren, verkündeten die Medien: Schuld hat die SPD, die SPD-Vorsitzende. Die einzigen, die anscheinend noch "Verantwortung" kennen, das sind trotz mancher Fehler - in meinen Augen - die Kanzlerin und die SPD-Vorsitzende. Bei ihnen steht Deutschland über der Partei. Wie viel Dreck muss noch ins Schwarze Meer fließen, bis wieder Anstand, Verantwortung und Vertrauen zumindest erkennbar sind?

Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

Offener Beifall nur von der AfD

Was in den vergangenen Tagen in Berlin passiert ist, wird die Parteien- und Politikverdrossenheit beflügeln. Unglaublich! Die SPD und wohl auch die CDU wollen die große Koalition wegen eines pflichtvergessenen (ganz vorsichtig ausgedrückt) hochrangigen Beamten nicht platzen lassen. Und lassen sich deswegen von einem untergehenden ehemaligen politischen Schwergewicht durch sein Veto zu einer berechtigten fristlosen Entlassung von Hans-Georg Maaßen an der Nase durch die politische Manege führen.

Horst Seehofer weiß, dass er nach der bayerischen Landtagswahl allem Anschein nach wohl die politische Verantwortung für das desaströse CSU-Ergebnis - vielleicht erst nach einer Schamfrist - aufs Auge gedrückt bekommen wird. Er will deswegen in seinem Abgang möglichst viele "politische Freunde" mit in den Strudel ziehen. Das ist charakterlos. Er bekommt für seine Haltung nur von der AfD offenen Beifall, und das gibt ihm nicht zu denken.

Kanzlerin Angela Merkel muss ihre Zögerlichkeit beiseiteschieben und Seehofer mit ihrer Richtlinienkompetenz zwingen, Maaßen zu entlassen. Stimmt er nicht zu, muss auch er seinen Hut nehmen. Ob die CSU dann die Koalition platzen lässt? Wegen Seehofer? Ich glaube, nein. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat sein Ohr für die Stimmungen im Volk wiederentdeckt. Und die Männerfreundschaft Söder/Seehofer hat ja nie wirklich existiert.

Rüdiger Küster, München

Seehofer, der Herostrat

Während für die CSU Horst Seehofer eigentlich nur noch als nützlicher Sündenbock vorgesehen war, gefällt er selbst sich in der Rolle des Herostrat, der auf seinem Weg in den Untergang alle mitnimmt, die er als Konkurrenten oder missliebige Kritiker wahrnimmt. Dass er auf diesem Weg nicht nur Angela Merkel und Markus Söder in den Abgrund reißt, sondern als Kollateralschaden die ganze Regierungskoalition, die CSU und letztendlich auch den einst stolzen Freistaat Bayern, nimmt er entweder in verblendeter Eitelkeit nicht wahr oder nimmt es, schlimmer noch, sogar billigend in Kauf. Schade!

Martin Kleinhans, Schömberg

Lauter Narzissten

Das Dilemma ist doch grundsätzlich. Statt sich zusammen mit allen politischen Kräften um ein vernünftiges Konzept für die Bedürfnisse der breiten Bevölkerungsmitte zu bemühen, vertreten die Parteien nicht nur gnadenlos ihre Partikularinteressen, nein, bei der politischen Elite steht unverkennbar die Selbstdarstellung und der Narziss im Vordergrund. Sie muss aufpassen, dass sie ihr Gesicht nicht zu nahe an die Pfütze heranführt.

Hans Peter Stolz, Bad Hönningen

Erfolge des Verfassungsschutzes

Im Zusammenhang mit den Äußerungen des Präsidenten für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen hat in der medialen Berichterstattung leider auch die Institution, sprich die Behörde selbst Schaden genommen. Der Verfassungsschutz ist ein wesentlicher Bestandteil der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur. Nur zu leicht werden dabei die Erfolge und Verdienste vergessen, die diese Behörde für die Sicherheit erworben hat. Wer auch Konsequenzen für den Verfassungsschutz selbst fordert, schadet damit einer für die innere Sicherheit der Bundesrepublik zuständigen Institution.

Arnold Schommer, Bedburg

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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