DDR:Runter von der Couch

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Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sollte die Demokratie befördern - hat aber ihr Ziel verfehlt. Das hat Ilko-Sascha Kowalczuk jüngst im Feuilleton festgestellt. Leser haben sich dazu weiterführende Gedanken gemacht.

" Und was hast du bis 1989 getan?" vom 23. Oktober:

Demokratie sind wir alle

"Und was hast du bis 1989 getan?" ist ein guter Artikel, und wenn er etwas auslösen könnte, wäre er noch besser. Da aber stößt er an die Grenzen des politischen Mainstreams. Das Beklagen der "schiefgelaufenen" Demokratisierung im Osten wird mit konstanter Regelmäßigkeit öffentlich. Leider dringt es nicht in die Herzen und Köpfe und führt zum ernsthaften Handeln derjenigen, die das politische Sagen haben und die Pflöcke setzen. Der Begriff "Demokratisierung im Osten" hat bereits Schieflage. Er verengt den gesamtdeutschen Prozess und überhöht die "Demokratisierung des Westens". Denn Demokratie ist kein statisches Gebilde. Demokratie sind wir als Menschen in unserem Umgang miteinander, und das ist in Bewegung und immer gefährdet. Wer glaubt, uns ist mit der deutschen Einheit die Demokratie vom Westen geschenkt worden, der irrt gewaltig. Was wir erhalten haben, ist die Möglichkeit, jeden Tag um die Demokratie zu ringen und sie zu leben.

Es sollte keinen Schlussstrich geben in der Auseinandersetzung mit den Diktaturen in Deutschland. Es darf kein Ausklammern der Geschichte der alten Bundesrepublik in diesem Prozess geben. Was ich als DDR-Bürger, in der neuen Republik, gelernt habe, ist: "Lass dir nicht von Fremden dein Leben erklären." Ich bin jederzeit bereit auf die Frage "Und was hast du bis 1989 getan?" zu antworten, aber nicht auf einer Behandlungscouch, nur auf Augenhöhe. Auch fühle ich mich nicht als Bürger zweiter Klasse. Aber ich wehre mich gegen die Verletzung des Grundgesetzartikels 3 Absatz 3. Die Schaffung gleicher Lebensverhältnisse endet nicht mit dem "Aldi" um die Ecke und der Reise nach Mallorca, wenn das Geld dafür vorhanden ist.

Gerhard Schneider, Lärz, Ortsteil Krümmel

Man muss pessimistisch sein

Ilko-Sascha Kowalczuk beschreibt die Problematik von "Geschichtsaufarbeitung" - damit ist bezeichnenderweise immer eine schlimme Geschichte gemeint - völlig korrekt. Doch kann ich seinen Optimismus, was deren Möglichkeiten betrifft, nicht teilen. Ich bin alt genug, um noch gut in Erinnerung zu haben, wie die Aufarbeitung der NS-Geschichte lief. Die Elite, die mehrheitlich aus NS-Anhängern oder willfährigen Mitläufern bestand, hatte keine Probleme, sich in der neuen, demokratischen Gesellschaft zu behaupten. Selbst schwer belastete Juristen und Mediziner machten weiter Karriere. Auch Geisteswissenschaftler und Journalisten, die vor 1945 Unsägliches gesagt und manchmal auch getan hatten, gelangten auf respektable Posten. Vieles davon wurde erst sechzig (!) Jahre später "aufgearbeitet", auch bei der SZ.

Dazu muss man freilich sagen: Viele dieser Leute, die in der Nazi-Zeit oft noch jung und dementsprechend sozialisiert waren, haben sich später um die Demokratie dennoch verdient gemacht. Sie sind es wert, dass man ihrem Lebenslauf Gerechtigkeit widerfahren lässt. Aber es gab eben auch viele, sehr viele Altnazis, "Unbelehrbare", die zwar in der bürgerlichen Presse kaum vorkamen, aber umso mehr in der Gesellschaft. Es war nicht nur der "Mann auf der Straße", von dem wir Langhaarigen uns nachrufen lassen mussten, "unterm Adolf wärt ihr vergast worden", sondern auch Akademiker.

Ich befürchte, dass dies auch für die ehemalige DDR gilt. Den Widerstand, den es gegen die von den Siegermächten verordnete "Reeducation" ganz offen gab, die ständigen Forderungen - schließlich auch von (scheinbaren?) Liberalen und Demokraten -, damit endlich Schluss zu machen, erleben wir jetzt verspätet und travestiert in Pegida und AfD, wenn sie gegen die undeutsche Meinungsmache der "Eliten" wettern.

Es wird wohl immer einen Prozentsatz von Menschen geben, die sich schwertun mit Schuldeingeständnissen, die eigene Irrtümer als übelwollende Beschädigung ihrer Biografie durch Dritte begreifen. Die alten Nazis in meiner Jugend, sofern es zu Gesprächen mit ihnen am Biertisch kam, redeten sich, in die Enge getrieben, auf einen nebulösen "Idealismus" heraus und warfen uns vor, die heutige Jugend hätte halt keinen mehr. Einen Idealismus, der politische Gegner einsperrt und Juden vergast? Welche Art von Aufarbeitung kann solchen "idealistischen" Menschen gerecht werden?

Der Grund, warum es heute in der ehemaligen DDR verhältnismäßig mehr Nationalismus, Rassismus, Illiberalität und Unverständnis von Pressefreiheit und demokratischen Prozessen gibt, liegt in der Geschichte dieses Staates selbst und nicht in einer verfehlten "Umerziehung". In einer Gesellschaft, in der es keine freie Meinungsäußerung gibt, ist eine Diskussion, ob über liberaldemokratische oder über rechtsradikale Ansichten, nicht möglich. Wer seine Meinung nicht öffentlich äußern darf, erfährt auch keinen Widerspruch. In den neuen Bundesländern fehlen vierzig Jahre Diskussion über demokratische, liberale und humane Werte - und über ihr Gegenteil. Es fehlt, wie Kowalczuk richtig beobachtet, eine Zivilgesellschaft. Diese formiert sich erst jetzt, dreißig Jahre später - in Form eines rechtsradikalen Populismus. Dem können nur die Mitbürger etwas entgegensetzen, nicht Geschichtspädagogen.

Dr. phil. Andreas Kalckhoff, Stuttgart

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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