Behinderte:Auf die Rechte pochen

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Betreuung in allen Angelegenheiten? Das muss heute nicht mehr sein. Leser raten Behinderten und ihren Angehörigen, sich vor Behördengängen ganz genau zu informieren.

"Der Wahlkampf" vom 10./11. Juni:

Veraltete Regelung

Mit Interesse, aber auch etwas Verwunderung, habe ich den Artikel "Der Wahlkampf" von Ulrike Nimz gelesen. Mit Interesse, weil ich Beiträge von oder über Menschen mit Behinderung grundsätzlich hilfreich finde, um eigene Denkmuster zu überprüfen, mit Verwunderung, weil im gesamten Artikel nicht die eigentliche Diskriminierung angesprochen wird. Das im Beitrag geschilderte Problem des Wahlrechts für den behinderten Julian entsteht ja nur bei einer gesetzlichen Betreuung "in allen Angelegenheiten". Eine solche Bestimmung schließt betroffene Menschen tatsächlich von jeder Partizipation aus. Dabei ist sie vollkommen unnötig, da es seit der Neuordnung des Betreuungsrechtes 1992 die Möglichkeit gibt, die Unterstützungsbereiche im Einzelnen zu benennen und einen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, unabhängig vom Umfang des Unterstützungsbedarfes, zu vermeiden.

Die eigentliche Diskriminierung stellt also die weitere Anwendung der undifferenzierten Zuordnung "in allen Angelegenheiten" dar. Eine Maßnahme, die nach meiner Kenntnis aber auch von immer weniger Amtsgerichten angewendet wird. Überrascht bin ich daher eher darüber, dass die Familie, die so viele Inklusionsschritte mit ihrem Sohn gegangen ist, bei der Betreuerbestellung nicht auf eine Differenzierung der Unterstützung gedrungen hat.

Heiner Bartelt, Senden

Platz schaffen für Selbständigkeit

Der Wahlrechtsausschluss bestimmter Personengruppen wird mit guten Argumenten gerechtfertigt. Eine anmaßende, paternalistische Position. Richtigerweise wird in der Reportage "Der Wahlkampf" über den behinderten Julian erwähnt, dass die "normale" Wählerschaft mancherlei irrationale Sicht auf Politik hat. Der Hintergrund für den Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Behinderungen liegt im vorherrschenden Bild von Behinderung als defizitärem, schutzbedürftigen Sonderzustand. Dies muss überwunden werden. Gesetzgebung muss den Wandel nun anstoßen, damit die betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürger ihr Menschenrecht ausüben und ihren Platz in der Gesellschaft finden können.

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen mit ihren klaren Anforderungen unter anderem hinsichtlich Wahl des Wohnorts/der Wohnform, der gleichberechtigten und wirksamen Teilnahme am wirtschaftlichen und politischen Leben bleibt in der deutschen Umsetzung bisher weitgehend Lippenbekenntnis. Unsere Gesellschaft hat den Raum und die Kraft, die Randgruppe der Menschen mit Behinderungen in ihre Mitte zu lassen.

Ulrich Koch, Peiting

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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