Atomwaffen:Streiten ums beste Konzept gegen die Bedrohung

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Deutschland soll die nukleare Teilhabe in der Nato aufkündigen, meinen die einen. Andere Leser sehen gerade darin die Chance für Berlin, Strategien gegen andere Atommächte mitzugestalten.

Interkontinentalrakete im russischen Fernsehen: Solche Waffen, die Atomsprengköpfe tragen können, gehören zum Drohpotenzial, das eine nukleare Abschreckungsstrategie aus Nato-Sicht nötig macht. (Foto: dpa)

Zu " Neue Befreiung" vom 23. /24. Mai:

Verpflichtung deutscher Politiker

Heribert Prantl zeigt in seiner Kolumne, dass der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland rechtlich eigentlich selbstverständlich sein müsste. Scheinbar stehen einige Politiker über dem Gesetz. Dabei wäre es gerade in einer Zeit, in der die USA ein neues Wettrüsten forcieren, wichtig zu zeigen, dass hier auch Verbündete andere Ansichten haben. Wenn es in Deutschland keine Atomwaffen mehr gibt, sinkt auch die Gefahr, dass Deutschland zum Zielgebiet für diese Waffen wird. Die Forderung, alle Atomwaffen aus Deutschland zu entfernen, sollte deshalb nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch eine Verpflichtung für jeden deutschen Politiker sein.

Seit 2017 gibt es den Atomwaffenverbotsvertrag, der leider nur von wenigen Staaten unterschrieben wurde. Er soll den eher unwirksamen Atomwaffensperrvertrag ergänzen beziehungsweise ersetzen. Auch hier würde eine Ratifizierung durch Deutschland zeigen, dass es kein Widerspruch ist, in der Nato mitzuwirken und gleichzeitig etwas für die Abrüstung zu tun.

Andreas Rink, Künzell-Wissels

Weg in die "Lobbykratie"

Der Autor schreibt, die rechtliche sei klarer als die politische Lage, klar gegen die Fortsetzung der atomaren Bewaffnung in Deutschland. Der entsprechende Beschluss des Bundestags ist zehn Jahre alt. Und was ist daraus geworden? Nichts! Im Gegenteil: Die Verteidigungsministerin drängt zur Anschaffung neuer Kampfbomber für den Transport von Atomwaffen. Wem ist sie verpflichtet? Der US-Regierung? Der deutschen Rüstungslobby? Anscheinend nicht der Mehrheit der Deutschen, die nämlich meines Erachtens begriffen hat, dass Atomwaffen auf deutschem Boden das "friedliche Zusammenleben der Völker" stören. Es sei daran erinnert, dass derartige Handlungen nach Artikel 26 des Grundgesetzes verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen sind. Welchen Weg werden Frau Kramp-Karrenbauer und Frau Merkel gehen? Noch weiter in die "Lobbykratie"?

Klaus Ried, München

Ausstiegszeitpunkt ist ungünstig

Der Autor schwärmt eingangs von den Massendemos der damaligen "Friedensbewegung" gegen die Stationierung der Pershing-Raketen in der alten Bundesrepublik. Allerdings ist von der Stimmung jener frühen Achtzigerjahre, in denen der damalige Kanzler Helmut Schmidt seine Nachrüstungspolitik gegen den Widerstand in den eigenen Reihen der SPD durchsetzte, heute nicht mehr viel übrig. Vergessen ist auch, dass sich die Sowjets damals erst nach der Stationierung der Mittelstreckenwaffen zur Abrüstung der eigenen atomaren Waffensysteme bequemten.

Im Zeitalter von Putin und Trump hat sich da aber vieles verändert. Trump gefährdet mit seiner Politik des Ausstiegs aus internationalen Vereinbarungen die Möglichkeiten einer vernunftorientierten Politik. Putin erneuert derweil seine Waffensysteme, reißt sich die halbe Ukraine unter den Nagel und befeuert mit seinen Bombergeschwadern den verbrecherischen Krieg des syrischen Despoten Assad gegen sein eigenes Volk.

Verlässliches für die Sicherheit der Europäer ist also derzeit weder von den Amerikanern noch von den Russen zu erwarten. Angesichts dieser Gemengelage kommt der Vorstoß der SPD-Führung zum Ausstieg Deutschlands aus der "nuklearen Teilhabe" zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Deutschland ist seit Langem Mitglied in der nuklearen Planungsgruppe der Nato. Ein einseitiger Rückzug in die Neutralität würde wohl kaum die Sicherheitslage verbessern. Im Gegenteil. Dennoch hat Prantl Recht, wenn er für eine Beteiligung an "neuen Abrüstungsinitiativen" der Bundesrepublik plädiert. Dabei darf aber die enge Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten nicht aufs Spiel gesetzt werden. Die Trumps und Putins kommen und gehen. Letzteres wäre die eigentlich "neue Befreiung".

Wolf Scheller, Köln

Vom Dynamit des Nachbarn

Man stelle sich vor: Eine Person, die in einem entfernten Stadtviertel wohnt, kommt eines Tages zu Ihnen und deponiert einen Kanister mit Dynamit in Ihrer Wohnung mit der Begründung, dadurch wären Sie vor einem möglichen Eindringen von Nachbarn in der Wohnung geschützt. Wenn Sie diese Person darauf hinweisen, dass bei einer Detonation des Dynamits Sie selber sterben würden, erklärt sie Ihnen, dass das Dynamit selbstverständlich in der Wohnung des Nachbarn gezündet würde und Ihre Aufgabe darin bestünde, das Dynamit in die Wohnung des Nachbarn zu tragen. Falls ein Nachbar tatsächlich mal in Ihre Wohnung eindringen sollte, dann könnten Sie ihn nicht mit dem Dynamit abwehren, ohne selbst draufzugehen. Sie könnten sich vor dem Angriff des Nachbarn in der eigenen Wohnung aber auch nicht dadurch schützen, indem Sie ein Familienmitglied beauftragen, das Dynamit in der Wohnung des Nachbarn zu zünden. Dynamit in die Wohnung des Nachbarn zu tragen und dort zu zünden, wäre also nur möglich, wenn der Nachbar gar nicht in Ihre Wohnung eingedrungen ist, Sie also nur glauben, dass er Sie überfallen wird und es daher besser wäre ihm zuvorzukommen.

Dr. Jens Lipski, München

Abschreckung und Abrüstung

Der Autor sollte bedenken, dass Russland mit der Annexion der Krim, dem unerklärten Krieg in der Ostukraine und der Bedrohung der baltischen Staaten Finnland, Schweden und Polen eine aggressive Politik betreibt, die durch die Stationierung von atomwaffenfähigen Kurz- und Mittelstreckenwaffen in Kaliningrad tatsächliches Drohpotenzial entfaltet. Diese Waffensysteme können auch konventionell bestückt werden und erlauben Russland unterschiedliche Formen der Eskalation. Nicht vergessen sollte man auch, dass die russischen Großmanöver der Zapad-Serie gegen die Ukraine und östliche Nato-Staaten gerichtet waren. Die von der SPD beklagte Verschiebung hin zu Kernwaffen als Instrumente der Kriegsführung ging von Russland aus, nicht von den USA.

Das zentrale Element der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato besteht darin, dass die darin eingebundenen Nationen in den Prozess der konkreten, auf einen Krieg in Europa bezogenen Planungen und Übungen zur Abschreckung beitragen. Dazu benötigt Deutschland einen Ersatz für die Tornado-Flugzeuge. Es geht darum, dass Deutschland ein verlässlicher Partner in der Nato bleibt und eine russische Eskalationsstrategie zurückgedrängt werden kann. Abrüstungsinitiativen sind hilfreich, aber dazu braucht es immer zwei Seiten!

Reinhard E. Unruh, Schleswig

Einfluss nehmen statt kündigen

Wenn Deutschland die "atomare Teilhabe" aufkündigen würde, würden deshalb nicht die Atomwaffen aus der Welt verschwinden. Nach wie vor ist die Tatsache, einen Zugriff auf Atomwaffen zu besitzen beziehungsweise wie im Falle Deutschlands/Europas, unter einem "atomaren Schutzschild" zu stehen (durch die Nato), Garant für eine relevante Verhandlungsposition gegenüber anderen atomar bewaffneten Staaten, namentlich Russland oder China. Es ist eben jener Nato zu verdanken, dass Russland nicht weitere ehemalige Sowjetstaaten an seiner Westgrenze, namentlich die baltischen Staaten, zu destabilisieren versucht, so wie es das im Falle der Ukraine schon tat. Machen wir uns nichts vor, das ist so. Atommacht zu sein, verändert Verhandlungspositionen. Aus diesem Grund gibt es genügend Staaten, deren Ziel genau das ist: Atommacht zu werden - namentlich Iran oder Nordkorea.

Deutsche Soldaten, die im schrecklichen Falle eines US-Einsatzes von Atomwaffen diese Einsätze fliegen sollen, wären dem Bundestag unterstellt, nicht dem US-Präsidenten. Dies stellt eine reelle Möglichkeit zur Einflussnahme dar. Kündigen wir die nukleare Teilhabe auf, so geben wir die Möglichkeit auf, mitzuentscheiden, und wir geben diese Möglichkeit an andere Staaten ab. Prantls Überlegungen und Argumente klingen schön, sind schlüssig und nachvollziehbar. Er sieht dabei ein pazifistisches Deutschland, das sich von der "Sünde" Atomwaffen reingewaschen hat. Er hat recht, Atomwaffen sind eine "Sünde". Nur ignoriert er dabei Realitäten, die eine Aufkündigung der Teilhabe unklug machen.

Dr. Maximilian Tiller, München

© SZ vom 16.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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