Vor dem Pisa-Ländervergleich:Die Sachsen kommen

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Das zweigliedrige Schulsystem des Freistaats gilt als besonders erfolgreich - und wird zum Vorbild für Reformen im Westen. Vor allem beim Thema soziale Gerechtigkeit punkten sächsische Schulen.

Birgit Taffertshofer

Im Physikunterricht an der Mittelschule in Regis-Breitingen ist das Thema Optik dran. Doch die Kinder der sechsten Klasse sitzen nicht brav in ihren Sitzreihen und starren auf die Tafel. Im neu eingerichteten Physikraum können sie jetzt selbst forschen, schwärmt Ewald Braun.

In Sachsen nimmt man den Unterricht ernst: Das Schulmodell im Freistaat gilt als beispielhaft. (Foto: Foto: AP)

Der Direktor der kleinen Schule in der Nähe von Leipzig findet, naturwissenschaftlichen Unterricht könne man heutzutage nicht wichtig genug nehmen. Und so wie er denken wohl viele Lehrer in Sachsen. Zumindest zeichnet sich schon jetzt ab, dass der Freistaat beim aktuellen Pisa-Vergleich mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften zur echten Konkurrenz für den bisherigen Pisa-Sieger Bayern werden könnte.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Sachsens Schulen überraschen. Als Georg Milbradt (CDU) vor dem ersten Pisa-Ländervergleich voraussagte, Sachsen werde zu den Siegern gehören, hielten das viele für übertriebene Zuversicht eines Ministerpräsidenten. Schon die schwierige Neuorganisation des Schulwesens nach der Wende ließ nicht vermuten, dass ein neues Bundesland ein Jahrzehnt später mit Bayern und Baden-Württemberg in der Spitzengruppe landen könnte. Doch inzwischen gilt das zweigliedrige System, mit Gymnasium und Mittelschule, als Vorbild für Reformen im Westen.

Pädagogen wollen alle integrieren

Für Ewald Braun liegt der Vorteil der Mittelschule vor allem darin, dass sie lernschwache Kinder gut integriert. Jeder Lehrer in Regis-Breitingen fühle sich für alle Kinder zuständig, sagt er. Egal ob sie gute oder schlechte Lerner seien, egal ob ihre Eltern im nahen Kohlekraftwerk Lippendorf ihr Geld verdienen oder arbeitslos sind.

In dem fast 40 Jahre alten Flachbau direkt am Kirchteich des Ortsteils Regis haben die 200 Schüler bis zum Ende der sechsten Klasse den gleichen Unterricht. Erst danach wird in Fächern wie Mathe, Deutsch oder Englisch zwischen Haupt- und Realschülern differenziert. Ihre Schulzeit beenden sie dann mit den üblichen Hauptschulabschlüssen oder der Mittleren Reife.

Bisherige Pisa-Ergebnisse geben dem Schulleiter recht. Anders als in anderen Bundesländern haben in Sachsen auch Arbeiterkinder relativ gute Aussichten, die Hochschulreife zu erlangen - ein Vorsprung, der sich nicht durch laxe Anforderungen im Unterricht erklären lässt. Sachsens Schulen gelten deshalb als Vorbild beim Thema soziale Gerechtigkeit, zwar nicht im internationalen Vergleich, aber zumindest innerhalb Deutschlands.

Auch Sachsen muss sich weiter bemühen

Gerade in Stadtstaaten wie Hamburg, Bremen und Berlin mit hohen Migrantenanteilen ist die Zahl der Schüler, die kaum lesen und schreiben können, nach wie vor sehr groß; an Hauptschulen liegt sie oft bei mehr als 70 Prozent. Der Erfolg Sachsens ist wohl auch eine Konsequenz aus dem demographischen Wandel und der politischen Reaktion darauf. Obwohl sich die Zahl der Schüler seit der Wiedervereinigung halbiert hat, sparte der Freistaat nur 30 Prozent der Lehrer ein. Erste Effekte zeigen sich bereits. Zum Beispiel hat Sachsen die Zahl der Schüler ohne Abschluss stärker als andere Bundesländer senken können.

Kultusminister Roland Wöller (CDU) bleibt dennoch realistisch: "Auch Sachsen muss sich um mehr Chancengerechtigkeit in den Schulen bemühen - das wird die große Baustelle der nächsten Jahre." Denn neben den Gymnasien und Mittelschulen haben sich in Sachsen Förderschulen herausgebildet. Problematisch an diesem Sonderschulbereich ist, dass etliche schwierige Schüler zu Unrecht dorthin abgeschoben werden - und der Weg zurück bleibt ihnen oft versperrt. Wie diese Kinder besser integriert werden können, darüber wird wie in anderen Bundesländern auch in Sachsen gestritten. Die SPD fordert eine Schule für alle, die CDU will die Schulstruktur erhalten, aber die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen verbessern.

Dass auch Schüler mit Lernschwächen gute Noten schreiben können, zeigt die Mittelschule in Regis-Breitingen. Damit sie im Unterricht mithalten können, bekommen die Kinder am Nachmittag zusätzliche Förderstunden. Außerdem arbeitet die Schule eng mit den Eltern zusammen. Inzwischen lernen in der siebten und achten Jahrgangsstufe der Schule alle Jugendlichen für die Mittlere Reife, sagt Braun. Der Rektor führt das auf die Bemühungen seiner Lehrer zurück. "Ich glaube jedenfalls nicht, dass die Kinder heute schlauer sind als früher."

© SZ vom 17.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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