Das E-Government, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, kam bislang nur im Schneckentempo voran. Das soll sich in den nächsten Jahren ändern. Doch selbst wenn viele Routine-Aufgaben digitalisiert werden sollten, wird die Arbeit in den Ämtern so schnell nicht knapp, meint Professor Sabine Kuhlmann. Die Potsdamer Verwaltungswissenschaftlerin ist stellvertretende Vorsitzende des Normenkontrollrats, der die Bundesregierung bei der Digitalisierung der Verwaltung berät.
SZ: Frau Professor Kuhlmann, in Dänemark oder Finnland können die Bürger sich bequem online ummelden, Kindergeld beantragen oder ein Gewerbe anmelden. Hier muss man mit fast jedem Anliegen persönlich zum Amt. Wieso ist der Rückstand so groß?
Sabine Kuhlmann: Ein wesentlicher Grund sind rechtliche Vorgaben: Schriftform, Präsenzpflicht des Bürgers oder Dokumentation auf Papier sind für viele Verwaltungsleistungen gesetzlich vorgeschrieben. Deshalb müssen sehr viele Gesetze geändert werden, um digitale Verfahren überhaupt möglich zu machen. Außerdem erschwert der strenge deutsche Datenschutz den Datenaustausch zwischen Behörden. Und natürlich ist die Digitalisierung in zentralistisch organisierten Ländern leichter umzusetzen als im Föderalismus. Trotzdem sind wir durch das Onlinezugangsgesetz von 2017 ein großes Stück weitergekommen.
Was ändert sich durch dieses Gesetz?
Es verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, digitale Lösungen - die an vielen Orten ja schon entwickelt wurden oder werden - in einem gemeinsamen Portal zusammenzuführen und die 575 wichtigsten Verwaltungsleistungen für die Bürger digital anzubieten. Um das zu erreichen, gibt es derzeit Themenfeld-Labore für verschiedene Online-Verfahren. Dabei werden auch Bürger einbezogen, damit die Prozesse tatsächlich nutzerfreundlich werden - anders als etwa der elektronische Personalausweis, den wegen des umständlichen Verfahrens kaum jemand nutzt. Allerdings wird es nicht leicht werden, diese guten Lösungen in die Fläche zu bekommen, so dass tatsächlich bundesweit dieselben Standards gelten.
Angenommen, es klappt: Kann die Digitalisierung nicht nur den Bürgern, sondern auch den Verwaltungsmitarbeitern Arbeit abnehmen?
Wenn sie gut gemacht wird, auf jeden Fall. Im Moment führt sie aber sogar zu höheren Belastungen. Wir haben das gerade an der Universität Potsdam, gemeinsam mit der Ruhr-Universität Bochum, in einem Forschungsprojekt untersucht. Die Mehrheit der befragten Verwaltungsmitarbeiter sagte, dass sie da, wo es schon digitale Lösungen gibt, oft mehr Arbeit haben: Sie müssen zum Beispiel eine E-Akte anlegen und außerdem noch eine Papier-Akte. Erst wenn Verwaltungsprozesse ohne Wechsel zwischen digitaler und analoger Bearbeitung laufen, Bezahlvorgänge eingeschlossen, werden Bürger und Mitarbeiter tatsächlich entlastet.
Beschäftigte und Personalräte fürchten, dass viele Stellen in den Verwaltungen dann überflüssig werden.
Tatsächlich könnten einige Routine-Aufgaben, beispielsweise bei den Finanzämtern oder den Rentenversicherungen, nicht nur digitalisiert werden, sondern sogar automatisiert. Sicher werden dadurch auch organisatorische und somit personelle Umstrukturierungen unvermeidlich. Das bedeutet aber nicht, dass in der Summe Arbeitsplätze verloren gehen: Das vorhandene Personal könnte an anderer Stelle eingesetzt werden und das Problem des Fachkräftemangels wäre besser zu bewältigen.
Welche Aufgaben könnten die frei gewordenen Mitarbeiter denn übernehmen?
Arbeit, die nur von Menschen erledigt werden kann, gibt es mehr als genug: Beratung in den Bürgerämtern, Fallmanagement in der lokalen Integrationsarbeit oder Aufgaben in den Planungs- und Bauämtern. Oft sind Genehmigungen Ermessensentscheidungen, für die sich ein Mensch die Situation vor Ort ansehen muss. Die personellen Ressourcen kann man in diesen Bereichen sinnvoller einsetzen. Voraussetzung ist natürlich, dass die betroffenen Mitarbeiter Angebote zur Weiterentwicklung erhalten. Dann kann ihre Arbeit infolge der Digitalisierung sogar interessanter werden.