Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Führungsetage:Die Wulffs sind unter uns

Der Bundespräsident hatte lange das Image, ein anständiger, integrer Mensch zu sein, Typ "Schwiegersohn" eben. Jetzt entpuppt er sich als jemand, der vielleicht nicht lügt, aber auch nicht die Wahrheit sagt. Eine bloße Verirrung der Macht? Und: Was können Führungskräfte aus der Affäre um den Bundespräsidenten lernen, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu erhalten?

Dieter Frey und Albrecht Schnabel

1 / 9
(Foto: dpa)

Dass unser Bundespräsident dermaßen gefühllos war, ist schwer nachvollziehbar. Wie konnte er solche Fehlleistungen begehen? Die Aussagen zu seinem Hauskredit, seine Drohungen gegenüber dem Bild-Chefredakteur und dem Chef des Springer Verlages und viele andere Dinge wie die Übernachtungen bei Geschäftsfreunden, die Urlaube bei befreundeten Unternehmern - all das scheint zunächst schwer verständlich. Unser Bundespräsident hatte das Image, ein anständiger, integrer Mensch zu sein, ein "Schwiegersohn", den man gern haben muss. Jetzt zeigt sich jemand, der zwar nicht lügt, der aber auch nicht die Wahrheit sagt, sondern versucht zu täuschen und sich die Dinge zurechtzubiegen, so dass er trotz eindeutigen mehrfachen Fehlerverhaltens noch gut dasteht. Wie ist das zu erklären? Vieles hat zu tun mit den Verirrungen, die mit Macht einher gehen, aber auch mit einer bestimmten Persönlichkeitsdisposition. Wir sehen einige psychologische Mechanismen, die zu diesem Fehlverhalten geführt haben.

2 / 9
(Foto: ddp)

Aufbau einer idyllischen Scheinwelt Wulff war es über viele Jahre hinweg gelungen, mit der bunten Presse gut zusammenzuarbeiten. Diese berichtete positiv über seine Scheidung. (Nach dem Motto: "Wulff gelingt alles", "Die neue Liebe", "Das neue Patchwork" usw.) Wulff konnte immer wieder eine private Idealwelt vorspielen, die es in Wirklichkeit nicht gab. Jede Art von Entzauberung dieser Idylle muss Angst erzeugen, weil es die öffentliche und private Identität zerstört. (Bild: Christian Wulff mit seiner Ex-Ehefrau Christiane)

3 / 9
(Foto: dapd)

Arroganz von Macht Wer so lange eine wichtige Position inne hat - als Fraktionschef, als Ministerpräsident und dann als Bundespräsident - der macht die Erfahrung, dass sein Wort Gewicht hat, dass er sich Kraft seines Amtes Gehör verschaffen kann. Wer dies häufig erfährt, der entwickelt Omnipotenzgefühle. Er glaubt zunehmend, dass seine Macht unbegrenzt ist, dass er alles erreichen kann. Er fühlt sich unangreifbar und unverwundbar.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Führungsetage

Maschmeyer, Wulff und die Hannover-Connection

4 / 9
(Foto: dapd)

Die Angst, entlarvt zu werden Wer sich lange im Zentrum der Macht befindet, wem täglich der Hof gemacht wird, wer schließlich in einem Schloss landet, der entwickelt die Vorstellung, dass er etwas Besonderes ist: Der König. Der Kaiser. Der Übermächtige. Wulff kommt aus kleinen Verhältnissen. Und er umgab sich mit Leuten, die reich, wohlhabend und einflussreich geworden sind. Mit Unternehmern wie Geerkens oder Maschmeyer, mit Schauspielgrößen wie Veronica Ferres. Man weiß, dass Wulff es oft auch angestrebt hat, in repräsentativen Wohnungen seiner wohlhabenden Freunde Feste zu feiern. Für so jemanden kommt es einer Entlarvung gleich, dass er ein ganz normales Häuslein sein Eigen nennt, das zudem nur aus Freundesgnaden möglich wurde. Es entsteht immer mehr eine Diskrepanz zwischen seinem Image und der Realität, er wird wütend und jähzornig. Das aufgebaute Bild einer Persönlichkeit, die in Wohlstand lebt, die Prestigestatus genießt, wird plötzlich, heftig und unerwartet beiseite gewischt. Das schmerzt.

5 / 9
(Foto: dpa)

Totaler Realitätsverlust Die Arroganz von Macht und die Omnipotenzgefühle verstärken sich, wenn man Günstlinge um sich versammelt, die nicht als kritisches Korrektiv wirken. Wo realistisches Feedback und Widerspruch wegfallen, besteht die Gefahr, dass man einen totalen Realitätsverlust erleidet. So, wie das bei Christian Wulff nachweislich der Fall war.

6 / 9
(Foto: dpa)

Versagen des Partners Wulff war verliebt, als er Fehlleistungen beging. Die Bild-Zeitung hatte das Bild des strahlenden Paares über Jahre gepflegt und auch Wulffs Scheidung von seiner ersten Ehefrau in den Hintergrund treten lassen. Aber sein neuer Partner war vermutlich kein kritischer, möglicherweise sogar ein falscher Ratgeber. ("Lass dir das nicht gefallen!") Die Vermutung liegt nahe, dass der aufgestiegene Wulff seiner attraktiven Partnerin imponieren und ihr zeigen wollte, wie groß sein Einfluss ist. Ein Teil seiner Insensibilität mag durch Imponiergehabe gegenüber dem geliebten Partner zu erklären sein.

7 / 9
(Foto: REUTERS)

Charakterschwäche und labile Persönlichkeitsdisposition Das Problem fehlender externer Kontrollinstanzen wird immer dann problematisch, wenn man selber über kein klares Wertesystem verfügt und damit innerlich nicht gefestigt ist. Wie viele andere Führungskräfte auch, gehört Wulff zu den Narzissten, die immerzu bewundert werden möchten. Und er ist ja auch viel bewundert worden. Kritische Äußerungen werden von solchen Menschen als extrem verletzend und ungerecht empfunden - sie reagieren implosiv oder explosiv. Sie schimpfen auf andere, etwa die Medien, und sie drohen, anstatt das eigene Fehlverhalten zu erkennen. Eine gereifte, kritische Persönlichkeit hat genügend interne Kontrollmechanismen und entwickelt damit auch genügend Selbstreflexion, um zu wissen, was geht und was nicht geht, was anständig ist und was nicht anständig ist. Wenn diese interne Kontrollinstanz und mit ihr auch noch externe Kontrollen fehlen, weil man sich mit Günstlingen umschart, kommt es zu Überschätzungen und Fehleinschätzungen, wie wir sie bei Wulff erlebt haben.

8 / 9
(Foto: Getty Images)

Zeitdruck Wulff stand unter Zeitdruck, da die Bild die Story bereits am kommenden Tag veröffentlichen wollte. Seine Welt drohte innerhalb von ein, zwei Tagen zusammenzubrechen. Wulff musste schnell handeln. Das bewirkt Panik, Angst, Kontrollverlust, Irrationalität. Einerseits sieht man in solchen Situationen seine Idylle zusammenbrechen. Zum anderen verfällt man in alte Muster: Man versucht, durch Drohungen, durch Zuckerbrot und Peitsche Dinge zu erzwingen. Man droht, wie das viele Führungspersonen machen, weil sie damit in der Vergangenheit häufig Erfolg hatten. Auch Wulff hat es so weit gebracht. Vermutlich dachte er, er könne ein Drohverhalten eher zeigen, weil er mit Kai Diekmann und Mathias Döpfner vertraut war und sie ihn bisher ja immer stützten. Aber es gilt: Gerade Gefühle wie Panik und Angst brauchen eine interne oder externe Korrektur, damit es nicht zu irrationalem Verhalten kommt.

9 / 9
(Foto: dpa)

Fazit: Was können wir lernen? In vielen Institutionen gibt es Wulffs. Wir kennen sie alle: Abgehoben von der Realität, von Omnipotenzgefühlen und der Arroganz der Macht geprägt, oft charakterschwach. Eine Scheinwelt aufgebaut.Durch Drohungen versuchen sie - meist erfolgreich - ihren Status zu halten. Sehr oft sind solche Führungskräfte geprägt durch Narzissmus und Machiavellismus und das Streben, nach außen eine heile, idyllische Welt aufzubauen. Damit wächst die Angst, dass dieser Schein zusammenbricht. Man ist dann permanent gezwungen, zu taktieren, die Angst vor einem Machtverlust ist enorm. Wird dieses Verhalten irgendwann erkannt, verliert man an Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Weil viele Führungskräfte von Günstlingen umgeben sind, erleiden sie einen Realitätsverlust. Zu erkennen, dass Wulffs in unserer Umgebung sind, hilft uns schon, sie zu entlarven. Vielleicht erkennt sich der eine oder andere ja auch wieder. So eine Selbsterkenntnis könnte heilsam sein für die Führungskultur in Deutschland insgesamt. Wie bei so vielen Führungskräften fehlt es bei Christian Wulff an Sensibilität, was man tut und was man nicht tut. Was Christian Wulff sich geleistet hat, darf sich kein Bundespräsident leisten; aber eigentlich auch keine Führungskraft, die zur Elite von Wirtschaft, Wissenschaft, Kirche oder Verwaltung zählt. Es wäre schön, wenn Wulffs Fehlverhalten insgesamt zur Diskussion über Vertrauen und Glaubwürdigkeit der deutschen Führungselite führen würde.

© SZ vom 20.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: