Tarife:«So leer war noch kein ICE»: Der paradoxe Streikbeginn

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Köln/Berlin (dpa) - Kein Gedränge am Bahnsteig, im Zug viele freie Plätze zur Auswahl. "Ich war extra früh hier, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass mein Zug wirklich fährt", sagt Christina Poppers. Ihr Regionalexpress kommt am Donnerstagmorgen überpünktlich.

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Köln/Berlin (dpa) - Kein Gedränge am Bahnsteig, im Zug viele freie Plätze zur Auswahl. „Ich war extra früh hier, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass mein Zug wirklich fährt“, sagt Christina Poppers. Ihr Regionalexpress kommt am Donnerstagmorgen überpünktlich.

Die 38-Jährige steigt ungläubig ein. Der Zug wird Düsseldorf planmäßig erreichen - und Poppers ihren Arbeitsplatz.

Es ist paradox. Die Lokführer streiken, und Bahnreisen ist entspannt wie selten. Ob Köln, Frankfurt oder Berlin - die Szenen gleichen sich: Statt Chaos und Extra-Stress wird gescherzt, man ist locker und entspannt.

Der Berliner Hauptbahnhof ist morgens um acht Uhr fast menschenleer. Am zentralen Info-Schalter des Frankfurter Hauptbahnhofs kommen am Mittag auf einen Kunden zwei Service-Mitarbeiter und ein Fernsehteam. In Göttingen staunt eine Pendlerin: „So leer war noch kein ICE nach Berlin am Donnerstagnachmittag.“

Wartende Fahrgäste am Bahnsteig klatschen in Berlin sogar Beifall, wenn eine S-Bahn eintrifft - aus Freude darüber, dass sie doch noch kommt. Und der Fahrer einer Berliner U-Bahn, die an diesem Morgen viel mehr Menschen als sonst benutzen, macht eine launige Durchsage: „Ich erkläre den Zug für besetzt. Benutzen Sie die nächste U-Bahn.“

Trotz guter Stimmung war es für Berufstätige und Urlaubsreisende ein Ausnahmetag, der erste von vier aufeinanderfolgenden. Denn der Ausstand der Lokführer dauert noch bis zur Nacht auf Montag.

Die Unannehmlichkeiten für Millionen Menschen blieben oft verborgen. Viele stiegen aufs Auto um, buchten einen Platz im Fernbus oder verlegten berufliche Termine in die nächste Woche. Frustriert oder verunsichert bliesen Freunde und Verwandte geplante Wochenendausflüge ab.

Aus der Wirtschaft kam am Donnerstag kaum etwas Alarmierendes. Für die geäußerte Sorge, schon am Wochenende könnte wegen des Streiks bei der Güterbahn das Benzin an den Tankstellen knapp werden, gab es zunächst keine Bestätigung.

Schwierig sei die Lage zwar schon, sagte ein Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbandes. Doch die Unternehmen hätten verschiedene Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung eingeleitet: „Dazu zählt die verstärkte Nutzung von Straßentransporten und von Privatbahnen.“

Auch die Spritpreise haben bislang nicht den befürchteten Sprung nach oben gemacht. Am Donnerstag wurde der Liter Kraftstoff sogar ein klein wenig billiger, stellte der ADAC fest.

Größere Probleme beim Nachschub für Fabriken haben Experten vom vierten Tag an vorhergesagt. Denn in wichtigen Branchen wie der Autoindustrie gibt es kaum noch Lagerhaltung, die eintreffenden Teile werden schnell verbaut und die fertigen Produkte dann gleich wieder abtransportiert. Fehlt die Zulieferung, stockt die Produktion. Ab Sonntag könnte es also in manchen Industriezweigen eng werden.

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