Nicht nur in Deutschland sind die Studenten unzufrieden mit ihrer wirtschaftlichen Situation, auch in Schweden macht der akademische Nachwuchs derzeit in den Medien und bei politischen Veranstaltungen seinem Unmut Luft. Es ist Wahljahr, und das ist immer eine gute Zeit, Politikern Versprechen abzuringen. In Deutschland dürften sich allerdings viele verwundert die Augen reiben, wenn sie auf die Diskussion in Schweden schauen: Dort geht es nicht darum, wie viel man für seine Ausbildung bezahlen muss - sondern darum, wie viel Geld man für sein Studium bekommt.
Wie in allen skandinavischen Ländern gibt es in Schweden ein gut ausgebautes System staatlicher Studienhilfen und Darlehen, die jedem Hochschüler offen stehen und unabhängig vom Einkommen der Eltern sind. Im vorigen Jahr hat der schwedische Staat knapp 19 Milliarden Kronen an seine 478.000 Studenten verteilt - das entspricht zwei Milliarden Euro, die an fünf Prozent der Bevölkerung ausgezahlt wurden. Selbst Ausländern steht das System offen, wenn sie seit mindestens zwei Jahren im Land wohnen und die Sprache beherrschen. Das Geld ist ausschließlich für den Lebensunterhalt bestimmt, die Hochschulen erhalten davon nichts, ihre Finanzierung steht in anderen Haushaltsposten.
Die Höhe der Zuschüsse hängt ab vom Alter des Studenten, von seiner Familiensituation - wer Kinder hat, bekommt mehr - und von der Art der Ausbildung. Jeder Bürger besitzt ein "Studienzeitkonto", der Staat gewährt Hilfen für maximal elf Semester. Wer nach dem Gymnasium schnell studiert, hat später noch ein paar Monate für Fortbildungen übrig. Sogar Studien im Ausland werden finanziert.
Jobben ist ungewöhnlich
Was für deutsche Ohren nach einem großzügigen Angebot klingt, ist für Martin Lundqvist vor allem eines: unzureichend. Lundqvist ist Sprecher der Studentenverbände in der südschwedischen Universitätsstadt Lund. Seine Organisation setzt sich für eine deutliche Erhöhung der Studienbeihilfen ein. Auf den Einzelnen umgerechnet sei der staatliche Zuschuss nämlich nicht besonders hoch, meint Lundqvist. Pro Woche erhält ein kinderloser Vollzeitstudent 1742 Kronen, wenn er sowohl Beihilfe als auch Darlehen in Anspruch nimmt. Pro Monat sind das knapp 7000 Kronen, also etwa 750 Euro. "Die Hälfte geht allein schon für die Miete drauf", sagt Lundqvist. Für Essen, Kleidung und Bücher bleibe da nicht mehr viel übrig. Und das führt nach Lundqvists Meinung zu einer bedenklichen Entwicklung: "Immer mehr Studenten sind gezwungen, nebenbei zu arbeiten."
Das ist für Skandinavier ungewöhnlich. Denn sie sind eigentlich der Auffassung, dass jemand, der ein Vollzeitstudium absolviert, seine ganze Zeit in der Uni verbringen soll und nicht hinter dem Tresen einer Kneipe oder im Fahrersitz eines Taxis. In Schweden - ebenso wie in Dänemark oder Finnland - erwartet man, dass ein Student hauptsächlich studiert, schließlich bekommt er Geld dafür.
Dieser Gedanke spiegelt sich auch in den Regeln des Fördersystems wider: Die Möglichkeiten zum Nebenverdienst sind begrenzt; wer ein zu hohes Einkommen hat, verliert seine Zuschüsse. Ebenso fliegt aus der Förderung, wer sein Soll an der Uni nicht erfüllt. Am Ende eines jeden Semesters müssen die Studenten der Zentralen Studienhilfebehörde die Scheine vorlegen, die sie gemacht haben. Die Leistungen werden nach einem Punktesystem bewertet. Wer zu wenig Punkte erreicht, erhält im folgenden Semester weniger Geld. Auch nach dem Studium wird ein Hilfeempfänger nicht aus der Pflicht entlassen.
Mehr als 60 Prozent der Summe, die ein durchschnittlicher Student während seiner Ausbildung erhält, stammen vom Kreditmarkt. Das bedeutet, der Staat hat sich das Geld geborgt und als Darlehen an die Studenten weitergegeben. Wer elf Semester voll gefördert wurde, hat einen Schuldenberg von gut 285.000 Kronen angehäuft - das entspricht knapp 31.000 Euro, und in dieser Summe sind 2,3 Prozent Zinsen enthalten.
25 Jahre hat der Absolvent Zeit, das Darlehen zurückzuzahlen. Im ersten Berufsjahr werden jeden Monat etwa 100 Euro für die Tilgung fällig, später erhöht sich der Betrag. Bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Tod wird die Schuld gestundet oder ganz erlassen. Weil der schwedische Staat mit Steuergeld für den Kredit bürgt, ist das Risiko für die Geldgeber gering und die Zinsen für den einzelnen Studenten sind niedrig.
Lohnende Investition
Das schwedische Studienmodell hatte im Laufe der Zeit schon einige Krisen zu bewältigen, vor allem finanzielle. Vor einigen Jahren stellte sich heraus, dass die meisten Hilfeempfänger ihr Darlehen im Laufe eines Berufslebens nicht zurückzahlen konnten. Viele hatte immer noch Schulden, als sie in Rente gingen, und diese Schulden wurden ihnen dann erlassen - der Steuerzahler musste dafür aufkommen. Das Problem lösten die Schweden, indem sie einerseits die Laufzeiten der Kredite verkürzten und andererseits den Anteil der Beihilfe an der Fördersumme erhöhten - damit wurde das System zwar deutlich teurer, aber besser kalkulierbar. In der Studienhilfebehörde gibt man sich zuversichtlich, dass ein Großteil der heutigen Studenten ihre Darlehen pünktlich tilgen können.
Insgesamt kostet die Förderung den Steuerzahler trotzdem eine Menge Geld. In der schwedischen Öffentlichkeit gibt es dennoch kaum Entrüstung darüber, dass die im internationalen Vergleich überaus üppig bezahlten Studenten jetzt noch mehr fordern.
Dafür gibt es zwei Gründe: Weil die Studienhilfebehörde nicht nur Universitätsstudien, sondern auch andere Ausbildungen bezuschusst, haben nahezu alle Bürger die Möglichkeit, von der Bildungsförderung zu profitieren. Außerdem wird die Beihilfe gemeinhin weniger als Stütze, sondern eher als lohnende Investition betrachtet. "Wer gut ausgebildet ist, verdient besser und zahlt dann auch mehr Steuern", sagt ein Sprecher der Studienhilfebehörde. "Auf diese Weise bekommt der Staat zumindest einen Teil des Geldes wieder herein."
Die Studenten, die sich derzeit für eine höhere Förderung einsetzen, sind optimistisch, dass ihre Forderungen gehört werden. Die regierenden Sozialdemokraten sahen sich im Wahlkampf bereits genötigt zu versprechen, die Studienbeihilfe aufzustocken. Künftig soll es etwa 25 Euro mehr geben. Ob sich damit junge Wähler gewinnen lassen, ist jedoch noch gar nicht sicher. Martin Lundqvist jedenfalls findet diesen Betrag ziemlich mickrig.