Studienabbrecher:Auf Nimmerwiedersehen

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Geldsorgen, Orientierungslosigkeit, Sinnfragen: Warum in manchen Fächern bis zu 45 Prozent der Studierenden hinschmeißen.

Ein Viertel der deutschen Studierenden brechen ihr Studium vorzeitig ab und kehren nie mehr an die Hochschule zurück. Das zeigt eine Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS). Nicola Holzapfel fragte Ulrich Heublein vom HIS woher das kommt.

Alltag Studienabbruch: Fast jeder zweite Sprach- und Kulturwissenschaftler kommt nicht bis zum Diplom. (Foto: N/A)

sueddeutsche: Laut Ihrer Studie brechen an den Universitäten fast ein Drittel der angehenden Ingenieurwissenschaftler eines Jahrgangs ihr Studium ab.

Ulrich Heublein: Dieses Ergebnis war für uns sehr überraschend. Die Studienanfängerzahlen in den Ingenieurwissenschaften haben sich Anfang der neunziger drastisch verringert. Normalerweise werden dann auch die Studienabbrecher weniger, weil nur noch die studieren, die auch besonders motiviert und leistungsstark sind. Aber bei den universitären Ingenieurwissenschaften hat es sich wider Erwarten anders verhalten. Hier sind die Abbruchzahlen sogar um acht Prozent gestiegen.

sueddeutsche: Viele Ingenieur-Studenten werfen aus finanziellen Gründen das Handtuch. Warum ist das so?

Heublein: In den Ingenieurwissenschaften kommen die Studierenden häufiger als in anderen Fächergruppen aus einkommensschwächeren Familien. Für diese Studierenden stellen sich oftmals besondere Probleme bei der Studienfinanzierung. Sie sind dabei stärker als andere auf Erwerbstätigkeit angewiesen. Das lässt sich nur sehr schwer mit den hohen Studienanforderungen in diesen Fächern vereinbaren.

sueddeutsche: Und warum hören Studenten in den Sprach- und Kulturwissenschaften schon vor dem Diplom auf?

Heublein: Diese Fächer haben überhaupt die höchsten Studienabbruchquote: Sie liegt bei 45 Prozent. Hier scheint es mir nicht falsch von einer "dramatischen Situation" zu sprechen. Auf der einen Seite besitzen die Studierenden häufig nur unklare Vorstellungen über ihr Fach und dessen Inhalte. Aber nicht nur das, sie wissen auch wenig über sich selbst. Oft kommen sie zwar mit guten Noten an die Hochschule, aber über ihre eigenen Fähigkeiten und Interessenlagen wissen sie wenig.

Auf der anderen Seite treffen diese Studierenden auf ein Studium, das sich weder durch klare Strukturen noch durch geeignete Orientierungsvorgaben auszeichnet. Dazu mangelt es in den entsprechenden Fächern auch an Vorstellungen über die möglichen Berufsfelder. Das ist ein großes Problem.

Des weiteren werden die Studierenden häufig - das gilt aber auch für andere Fächer - mit einem Lehrstoff konfrontiert, bei dem sie nicht so recht wissen, warum sie ihn studieren sollen. Der Stoff wird im Studium, aber auch in seinen beruflichen Bezügen, zu wenig begründet. Das hat dann vor allem Auswirkungen auf die Motivation.

sueddeutsche: Bei den Wirtschaftswissenschaftlern steigen an den Unis 32 Prozent frühzeitig aus ....

Heublein: Sie studieren häufig in der Hoffnung auf gute Karriereaussichten. Aber das Fach zieht viele Studierenden an, die eigentlich stärker nach praktischen Tätigkeiten streben. Häufig tritt dann so eine Art "Studienmüdigkeit" auf, das Gefühl, dass eine andere, praktischere Ausbildungsstrategie, besser wäre.

Viele kommen mit dem Management-Bild vor Augen an die Uni und der Vorstellung, dass das Fach stärker praxisbezogen ist. Aber das Studium wird diesen Erwartungen dann nicht gerecht - und sie können mit der Welt der abstrakten Wissenschaften wenig anfangen.

sueddeutsche: Was machen denn die Studienabbrecher nachdem sie von der Hochschule weg sind?

Heublein: Wir wissen, was sie ein halbes Jahr nach dem Abbruch machen. Der Anteil derjenigen, die arbeitslos sind, ist nicht größer ist als bei den Absolventen. Er liegt unter einem Zehntel. Die Hauptwege danach sind Berufsbildung oder gleich Übergang zur Berufstätigkeit.

Dabei ist zu konstatieren, dass die Studierenden erst dann abbrechen, wenn sie für sich eine Alternative sehen, also zum Beispiel schon einen Ausbildungsplatz an der Hand haben.

sueddeutsche: Nach wie vielen Semestern brechen sie denn ab?

Heublein: Im Schnitt, nach sieben, acht Hochschulsemestern, also nach fast vier Jahren Studium. Es gibt eine große Gruppe, die in den ersten vier Semestern abbricht. Aber mehr als die Hälfte werfen erst im Hauptstudium hin und immerhin noch ein Zehntel hat mehr als 16 Semester bis zum Abbruch studiert. Das ist ein erschreckender Wert.

sueddeutsche: Und viel verlorene Zeit ...

Heublein: Studienabbruch scheint mir vor allem dann problematisch, wenn die Studierenden, denen es im Grunde genommen an Studienvoraussetzungen mangelt, sehr spät scheitern. Das ist eine Vergeudung von gesellschaftlichen Ressourcen und individueller Lebenszeit. Und er ist problematisch, wenn studiengeeignete Leute an bestimmten Bedingungen scheitern. Zum Beispiel haben junge Frauen mit Kindern ein hohes Abbruchrisiko, obwohl sie häufig leistungsstark und leistungsmotiviert sind. Aber sie stehen vor dem Problem, Studium und Kinderbetreuung unter einen Hut zu kriegen. Dabei kann die Gesellschaft auf ihren Studienerfolg eigentlich nicht verzichten.

Studienabbruch bleibt immer auch ein Scheitern. Das sehen die meisten auch so. Es mag einen Moment der Befreiung haben, aber an sich ist das Gefühl da, etwas nicht geschafft zu haben.

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