Soziale Berufe:Arbeiten, wo man gebraucht wird

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Dienst an der Menschheit: Sozialarbeiter, Krankenpfleger und Priester wollen im Berufsleben lieber andere als sich selbst bereichern. Gutmenschen wollen sie trotzdem nicht sein, sondern einfach zielstrebige Profis. Karriere ist auch im sozialen Sektor möglich.

André Bosse

Ihr zweites Nebenfach brachte Franziska Fays Studienberater auf die Palme. Kulturanthropologie sollte es sein. "Noch so ein Wischiwaschi?", klagte er. Wenn schon Pädagogik als Haupt- und Afrikanische Sprachwissenschaften als erstes Nebenfach, warum dann nicht noch etwas Handfestes, BWL zum Beispiel? "Ich hatte darüber nachgedacht", erinnert sich Fay, aktueller Wohnsitz Lilongwe in Malawi, und hatte sich an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt tatsächlich für BWL beworben. Doch dann gingen die Unterlagen verloren, und die gebürtige Offenbacherin wertete dies als Zeichen: Kulturanthropologie sollte es sein, ein drittes Wischiwaschi-Fach.

"Was willst du nur damit werden?", fragten die Menschen in ihrem Umfeld besorgt. So richtig wusste Fay das damals selber noch nicht. Klar war nur, was sie nicht wollte: "Einen Beruf, der ausschließlich mich selbst bereichert." Also machte sie sich im Laufe des Studiums auf die Suche nach Optionen. Sie verbrachte Auslandssemester in London, Moskau und auf Sansibar. Jobbte als Swahili-Kennerin bei der Deutschen Welle in Bonn und Lehrerin für Flüchtlingskinder aus Afghanistan. Jetzt, mit 25, absolviert sie ein Praktikum in Malawi in Südostafrika. Ihr Arbeitgeber dort ist die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), und Fay widmet sich der Frage, wie es gelingen kann, für Kinder aus besonders schwierigen Verhältnissen ein kompaktes Bildungsprogramm auf die Beine zu stellen.

Früher hätte man gesagt, dass Franziska Fay in der Entwicklungshilfe arbeitet. Dass es ihr Job ist, anderen Menschen zu helfen. Doch den Begriff "Hilfe" hört heute in diesem Kontext keiner mehr besonders gerne. "Helfende Berufe" - das ist eine Bezeichnung mit Stigma. Man hat dann den Helfer vor Augen, der von sich sagt, sein wahrer Lohn sei nicht das Gehalt, sondern die Freude daran, mit seiner Arbeit etwas Gutes zu bewirken.

Doch das kann zum Problem werden. Zum Beispiel, wenn man süchtig danach wird, anderen zu helfen. Enttäuschungen und Tiefschläge sind dann kaum zu vermeiden; häufig sind Burn-out-Symptome die Folge: Die Krankenkasse AOK hat 2011 aufgeführt, in welchen Berufsgruppen die meisten Mitglieder an seelischen Erkrankungen leiden. Ganz oben - und weit vor Handelsvertretern im Außendienst: Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, Krankenpfleger und Krankenschwestern. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat für diesen Effekt bereits Mitte der siebziger Jahre den Begriff Helfersyndrom eingeführt - und so ist es nicht verwunderlich, dass heute viele Menschen, die eine Karriere mit sinnvoller Arbeit verbinden möchten, den Helferbegriff umgehen.

So auch Franziska Fay. "Ich sehe mich nicht als jemand, der den Menschen in Afrika Hilfe liefert." Stattdessen arbeitet sie an einer Karriere als "Bildungsberaterin in der Entwicklungszusammenarbeit", mit Betonung auf Zusammenarbeit. Interessant wird es, wenn die junge Frau in Afrika auf die "alten Hasen" trifft. Die Kollegen, die schon seit vielen Jahren in Entwicklungsländern tätig sind. "Da findet man diese Helfermentalität noch häufiger", hat sie beobachtet.

Was diese bewirken kann, hat Fay gespürt, als sie in einem malawischen Dorf Interviews für ihre Bildungsstudie führen wollte, an der sie arbeitet. "Die Menschen haben bei den Interviews bereitwillig mitgemacht, aber hinterher gab es dann oft die Erwartung einer Gegenleistung." Denn so werde es ihnen von vielen Vertretern der Nichtregierungsorganisationen suggeriert: "Wenn sie einem Weißen helfen, gibt es dafür häufig einen Anreiz, ein Stück Seife, ein T-Shirt oder ein wenig Reis." Es komme daher darauf an, in dieser Situation zu erklären, was Entwicklungszusammenarbeit von Entwicklungshilfe unterscheidet - und dass Kooperationen am besten auf Augenhöhe funktionieren.

Dass es nicht einfach ist, in einem bitterarmen malawischen Dort professionell aufzutreten, erklärt sich von selbst. "Aber", sagt Fay, "es ist an dieser Stelle wichtig, unbedingt zwischen der Funktion, die man einnimmt, und dem, was man vielleicht als Privatmensch tun könnte, zu unterscheiden."

Trennen zwischen privatem und beruflichem Leben? Für Priester der katholischen Kirche ist das unmöglich. "Das lässt sich für uns nicht auseinanderhalten. Unser Beruf ist unser Leben. Wir trennen nicht zwischen einer Zeit, in der wir die Brötchen verdienen, und einer anderen, in der wir sie essen", sagt Regens Hartmut Niehues. Der 41-Jährige leitet seit Oktober 2011 das Bischöfliche Priesterseminar Borromaeum in Münster.

Derzeit lassen sich dort sieben Männer zum Priester ausbilden. Einerseits studieren sie katholische Theologie. Andererseits erfahren sie, was es für sie bedeuten wird, als Priester vor der Aufgabe zu stehen, an einer "Zivilisation der Liebe und Gerechtigkeit" mitzubauen, wie Papst Johannes Paul II. es formuliert hat. "Als Priester stellt man sich für Gott in den Dienst der Mitmenschen", sagt Niehues.

Ein wichtiger Teil der Ausbildung besteht darin, sich als junger Mann zu hinterfragen, ob dieser Weg der richtige ist. Ob man die Berufung noch hört. Und ob man sich wirklich klar ist, was es bedeutet, Priester zu sein: arm, gehorsam, ehelos - so sollen sie leben. Die allermeisten jungen Menschen, die Karrieren in Unternehmen starten, möchten genau das Gegenteil: Gutes Geld verdienen, sich eigenverantwortlich selbst verwirklichen, Familie und Job in Einklang bringen. "Ja, es ist ein Alternativmodell", sagt auch Hartmut Niehues.

Sich für diesen Beruf zu entscheiden, bedeute, die eigene Freiheit zu verwirklichen. Und nicht teilhaben zu müssen an vielen Zwängen der Welt, gebe den Priestern Ressourcen, um ihren Auftrag zu erfüllen. Das gelte auch für den Zölibat: "Das heißt ja nicht, dass ich als Priester ohne Beziehungen lebe. Ich benötige selbstverständlich ein Netz von Beziehungen, das mich trägt. Aber der Verzicht auf eine exklusive Beziehung macht mich frei, für viele da zu sein."

So weit die Theorie. Doch die Praxis könnte manchem die Lust auf den Dienst an der Menschheit vermiesen, wenn man etwa sonntags um acht von der Kanzel aus ein Häuflein Kirchenbesucher und dabei kaum jemanden unter 40 sieht. Die Reaktion der katholischen Kirche: Gemeinden werden immer weiter fusioniert. Städte, in denen es früher fünf eigenständige Pfarreien gab, haben heute nur noch eine Großgemeinde.

Fusionen verlangen nach Managern. Nach Führung. Und auch nach unbequemen Entscheidungen. "Ein Priester am Puls der Zeit muss kommunizieren und delegieren können. Und er muss teamfähig sein, denn als Einzelkämpfer kommt man nicht weiter", sagt Niehues. Der Personalchef eines Unternehmens würde es kaum anders formulieren, nur dass er nicht auch noch seelsorgerischer Helfer in der Not ist, an den sich alle jederzeit wenden können. Wie schafft man das alles als Priester? "Ohne Freiräume geht es nicht", sagt Niehues. "Zu einem geistlichen Leben gehören regelmäßige freie Tage, Exerzitien, Urlaubszeiten und Fortbildungen."

Darum werden die jungen Männer im Bischöflichen Priesterseminar in Münster auch darin ausgebildet, Nein sagen zu können. Viele, die einen Beruf ergreifen, in dem es nicht darum geht, vor allem sich selbst zu bereichern, müssen lernen, dass man als selbstloser Weltverbesserer schnell an seine Grenzen kommt. "Ich denke, man muss die Naivität schnell ablegen, unbedingt aber den Idealismus beibehalten", empfiehlt Fay, die im Herbst Malawi zunächst einmal verlassen wird, um in London zu promovieren. Ein sinnvoller Karriereschritt. Für eine sinnvolle Karriere.

© SZ vom 04.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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