Schulkarrieren:Falsch einsortiert

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Jeder dritte Schüler ist stark über- oder unterfordert. Besonders betroffen sind Kinder von Akademikern - die auch dann ein Gymnasium besuchen, wenn sie gar nicht leistungsstark genug sind.

T. Schultz

Politiker und Lehrer haben bestürzt auf die Ergebnisse einer Studie reagiert, der zufolge fast jeder dritte Jugendliche eine Schulform besucht, die ihn unter- oder überfordert. Viele Arbeiterkinder landen auf einer Haupt- oder Realschule, obwohl ihre kognitiven Fähigkeiten auf Gymnasialniveau liegen, wie eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt. 17 Prozent der 855 repräsentativ ausgewählten Schüler besuchten eine Schule unterhalb ihres Leistungsniveaus. Der Verband Bildung und Erziehung forderte, Kinder länger gemeinsam zu unterrichten, statt sie auf unterschiedliche Schultypen zu verteilen. "Wir müssen die Bildungswege möglichst lange offen halten", sagte Verbandschef Udo Beckmann.

Viele Kinder werden in der Schule offenbar nicht nach ihren Fähigkeiten gefördert. (Foto: Foto: dpa)

Der FDP-Bildungsexperte Patrick Meinhardt nannte es einen "Skandal", dass so viele Kinder nicht nach ihren Fähigkeiten gefördert würden. Er wandte sich jedoch gegen eine "sinnlose Debatte über Strukturen". Priska Hinz von den Grünen attackierte Liberale und Konservative: "Wenn solche Ergebnisse bei Union und FDP nicht zu einem Umdenken führen, sehe ich schwarz für das Schulsystem in vielen Bundesländern." Der Philologenverband warnte indes vor falschen Schlüssen. Es sei unseriös, jeden als unterfordert zu bezeichnen, der trotz Gymnasialempfehlung eine Realschule besuche. Oft wählten Eltern und Schüler bewusst ein bestimmtes Schulprofil.

Überforderte Gymnasiasten

Die Autoren der Studie betonten, ihre Daten würden zeigen, "wie wenig begründbar das segregierte Schulsystem ist". Lernpotentiale blieben ungenutzt, Kinder würden ungerecht behandelt. Die Wissenschaftler stützen sich auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels, ergänzt durch Intelligenztests. Dabei ergaben sich breite Überlappungen in den kognitiven Fähigkeiten zwischen Haupt-, Realschülern und Gymnasiasten. Die Autoren deuten dies so, dass viele auch auf einer höheren Schule mithalten könnten.

Allerdings gibt es auch etliche, die überfordert sind. Dies betrifft vor allem Kinder von Akademikern. Viele werden auch dann auf ein Gymnasium geschickt, wenn sie Probleme haben, den Anforderungen dort zu genügen. Arbeiterkinder werden dagegen oft unterschätzt. Ihr Risiko, einen Schultyp zu besuchen, in dem sie kognitiv unterfordert sind, ist laut der Studie 2,5 Mal so groß wie für Kinder von Akademikern. Fast vier Fünftel der befragten Jugendlichen, deren Eltern Akademiker sind, besuchen ein Gymnasium. Bei anderen Jugendlichen sind es nur 29 Prozent. Gründe für diese Verteilung sehen die Wissenschaftler in den Entscheidungen der Eltern und Lehrer.

In den vergangenen Jahren kamen andere Studien zu ähnlichen Befunden. So ergab die Iglu-Studie, dass Kinder aus höheren sozialen Schichten eher eine Gymnasialempfehlung erhalten. Und die Pisa-Studien zeigten, dass es teilweise große Überlappungen in den Leistungen zwischen verschiedenen Schularten gibt.

© SZ vom 28.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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