Schulen:Bessere Bildung für Ärmere

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Privatschulen begünstigen Kinder oberer Schichten, kritisiert eine Studie. Deren Träger verlangen mehr staatliche Zuschüsse. Ein Lösungsvorschlag: Soziale Ungleichheiten reduzieren bedeutet mehr Geld.

Von Joachim Göres

Privatschulen boomen. In Berlin hat sich von 2005 bis 2015 die Zahl fast verdoppelt - jeder zehnte Schüler besucht hier inzwischen eine allgemeinbildende Privatschule. Spitzenreiter ist Bayern mit einem Privatschüleranteil von 11,4 Prozent. Bundesweit gingen im Schuljahr 2015/16 genau 743 534 Kinder und Jugendliche (8,9 Prozent aller Schüler) in eine der 3628 allgemeinbildenden Privatschulen - Tendenz steigend. Nach übereinstimmenden Studien werden an diesen Schulen vor allem Kinder angemeldet, deren Eltern überproportional oft über eine höhere Bildung, einen hohen sozialen Status und ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen.

Dabei soll laut Grundgesetz durch eine Genehmigung von Privatschulen "eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert" werden. Die Bundesländer kontrollieren dieses Sonderungsverbot nicht ausreichend - so das Ergebnis einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, mit der die Autoren Michael Wrase, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hildesheim, und Marcel Helbig, Professor für Bildung und soziale Ungleichheit an der Universität Erfurt, Ende 2016 für Aufsehen sorgten ( siehe Süddeutsche Zeitung vom 18. November 2016) .

Sie kritisierten, dass in keinem Bundesland vorgeschrieben sei, die soziale Zusammensetzung von privaten und öffentlichen Schulen zu vergleichen - Voraussetzung, um die Einhaltung des Sonderungsverbots zu überprüfen. In den meisten Bundesländern gebe es keine Höchstgrenze für das durchschnittliche Schulgeld, keine vorgeschriebene Staffelung des Schulgeldes nach Höhe des Elterneinkommens, keine festgelegte Befreiung für Geringverdiener - obwohl höchste deutsche Gerichte genau dies forderten.

Private Schulträger wehren sich gegen die Kritik. Der Bund der Freien Waldorfschulen weist darauf hin, dass ein Schüler einer allgemeinbildenden öffentlichen Schule im Jahr 2013 im Durchschnitt 7100 Euro kostete, die durchschnittlichen staatlichen Zuschüsse für einen Waldorfschüler dagegen bei nur 4820 Euro lagen. Durch die zu niedrig angesetzten Finanzhilfen würden Privatschulen gezwungen, teils zu hohe Schulgelder zu erheben. "Freie Schulen werden durch die zu niedrigen Finanzhilfen überhaupt erst in eben jene private Nische gedrängt, die man ihnen anschließend zum Vorwurf macht", sagt Vorstandsmitglied Henning Kullak-Ublick und fügt hinzu: "Wir haben es, jedenfalls bei den gemeinnützigen Schulträgern, mit einer gesetzlich erzeugten Sonderung zu tun."

Der Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP) betont, dass es an privaten Schulen Stipendien oder Geschwisterermäßigungen gibt, um soziale Härten zu vermeiden. Der Verband fordert für seine Schüler staatliche Unterstützung in Höhe von 80 bis 85 Prozent der Summe, die Schüler an öffentlichen Schulen den Staat kosten. Derzeit liegt dieser Anteil laut VDP deutlich niedriger.

Reduzieren Schulen soziale Ungleichheit, erhalten sie mehr Geld, lautet ein Lösungsvorschlag

Einer der größten Träger von Privatschulen sind kirchliche Einrichtungen. Die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) hat im vergangenen Jahr die "Statistik Evangelische Schule - Fakten und Trends 2012 bis 2014" vorgelegt. Darin geht es um die 1099 evangelischen Schulen in Deutschland; davon sind 478 Schulen allgemeinbildende Schulen, vor allem Grundschulen (199), weiterführende Schulen der Sekundarstufe I (121) und Gymnasien (93). Ihren Anspruch formuliert die EKD in dem Bericht so: "Evangelische Schulen verstehen sich nicht nur bewusst als öffentliche Schulen mit evangelischen Profil, sie sind auch besonders bemüht, ihr Schulgeld am unteren Limit zu halten (. . .) Nimmt man alle Schulen zusammen, dann liegt etwas mehr als die Hälfte mit ihrem Schulgeld unter 100 Euro." Gleichzeitig räumt der Bericht ein: Von den befragten allgemeinbildenden evangelischen Schulen, die Schulgeld erheben, gab es nur bei 32 Prozent eine Staffelung nach Elterneinkommen. Sechs Prozent der Schüler hatten einen Migrationshintergrund - deutlich weniger als an öffentlichen Schulen.

Wrase und Helbig haben ihre Kritik jetzt in einem Aufsatz für eine Fachzeitschrift konkretisiert. Dabei beschäftigen sie sich näher mit Privatschulen in Rheinland-Pfalz - neben Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland, in dem Privatschulen faktisch kein Schulgeld erheben, da ihnen sonst staatliche Zuschüsse gekürzt würden. Sie stellen fest, dass es im Südwesten auch ohne Schulgeld einen ungleichen Zugang zu Privatschulen gibt: "Wie aber gezeigt, scheint die ökonomische Komponente nicht die einzig primär entscheidende Rolle bei der Privatschulwahl zu spielen, sondern eher Status und /oder Bildung der Eltern", schreiben die Autoren. Offen bleibt, ob Eltern unterer Schichten von Privatschulen häufiger abgewiesen werden oder sich weit seltener für diese Schulen bewerben, weil sie angesichts des Schulgeldes diese Option ausschließen.

Für das große Interesse höherer Schichten an Privatschulen gibt es aus Sicht der Verfasser dagegen zahlreiche Gründe, gerade dort, wo auf engstem Raum der Anteil armer und reicher Menschen immer mehr wachse. Dies werde in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen besonders deutlich - dort gehen mittlerweile zwischen 7,6 und 9,9 Prozent aller Kinder in eine private Grundschule. Sie werde gewählt, damit das Kind nicht die nächstgelegene öffentliche Grundschule zusammen mit vielen armen und ausländischen Klassenkameraden besuchen müsse. Die Wissenschaftler machen einen Vorschlag, um diese Entwicklung zu bremsen: Privatschulen sollten umso mehr finanzielle Förderung erhalten, je mehr einkommensschwache Schüler sie aufnehmen. Gleichzeitig sollten Privatschulen mit elitärer Schülerschaft staatliche Mittel gekürzt werden.

Das Interesse der Eltern an Privatschulen rührt auch daher, dass sie auf bessere Leistungen ihrer Kinder hoffen. Laut Wrase und Helbig erzielen Kinder dort tatsächlich bessere Ergebnisse als an öffentlichen Schulen. Sie verweisen auf zahlreiche Studien, wonach nicht bessere pädagogische Konzepte dafür der Grund seien, sondern die soziale Zusammensetzung der Klassen. Viele Kinder brächten schon bei Schulbeginn höhere Kompetenzen mit, was sich positiv auf die Mitschüler auswirke. Allerdings fördere man dadurch "eine Entwicklung, welche die ohnehin problematische sozialen Segregation" in den Schulen weiter forciert", lautet das Fazit von Wrase und Helbig.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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