Rituale im Beruf:Alles auf eine Karte

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Rituale im Beruf: Früher wie heute ist es die beiläufige Geste des Kartentausches, die Vorstellungsrunden im Berufsalltag geschmeidiger macht.

Früher wie heute ist es die beiläufige Geste des Kartentausches, die Vorstellungsrunden im Berufsalltag geschmeidiger macht.

(Foto: oh (7), zazzle.de (2), Getty (1), Ullstein (1))

"Darf ich Ihnen meine Karte geben?" Eigentlich sind Visitenkarten in Zeiten digitaler Kommunikation ziemlich überflüssig. Trotzdem haben sie bis heute in der Geschäftswelt überlebt. Warum eigentlich?

Von Viola Schenz

Filmregisseure müssten ihnen besonders dankbar sein, sind sie doch das ideale Requisit, um menschliche Begegnungen zu inszenieren. In fast jeder Jane-Austen-Verfilmung legt der Besucher seine Karte aufs Silbertablett, das ihm der Butler an der Tür reicht. Sie wird dann umständlich als Passierschein bis zur Herrschaft weitergetragen. Oder jene Szene in "American Psycho", in der die jungen Wallstreet-Snobs am Konferenztisch erst ihre Maßanzüge vergleichen und sich dann streiten, welche ihrer Business Cards die edlere Typografie hat und den geschmeidigeren Beigeton ("Eierschale" oder "Knochen"). Am Ende triumphiert "zartes gebrochenes Weiß plus Wasserzeichen".

Visitenkarten haben einen zeitlosen Charme

Doch auch in profaneren Kreisen und Situationen sind Visitenkarten nach wie vor unentbehrlich. Kaum eine geschäftliche Zusammenkunft, und mag sie noch so locker ablaufen, in der nicht irgendwann er in die Brust- oder sie in die Handtasche greift und ein Kärtchen zückt.

Aber wie kann das überhaupt noch sein, heutzutage, im digitalen Zeitalter, wo man Geschäftskontakte ratzfatz über Netzwerke wie LinkedIn oder Xing einsehen und austauschen kann, wo nur noch gewischt und getippt wird, wo alles Papierene und Gedruckte wie von gestern wirkt? Weil Visitenkarten einen zeitlosen Charme haben. Sie zu reichen, ist ein diskreter Akt. Er ersetzt die heikle Frage nach der genauen Position in der Firma, die Antwort liegt sogleich buchstäblich auf der Hand - genauso wie der akademische Grad und die Schreibweise des Namens.

Die beiläufige Art der Kommunikation

"Visitenkarten ermöglichen es, auf sehr schnelle und beiläufige Art zu kommunizieren und viele Informationen gleichzeitig zu geben und zu bekommen", erklärt Ludwig Eichinger, "ohne sich aufzudrängen und ohne penetrant sagen zu müssen: Notieren Sie sich mal meine Adresse." Eichinger ist Germanist an der Universität Mannheim und Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim. Zu seinen Studien zählen auch die kulturellen Aspekte der im Durchschnitt 85 mal 45 Millimeter großen Kärtchen.

Die Spuren des digitalen Zeitalters

Sie bleiben ein gefragter Bestandteil des Geschäftslebens. Der Kommunikationsdesigner Peter Ostenrieder, der in seiner Agentur im oberbayerischen Peiting auch Visitenkarten entwirft, kann das bestätigen: Die Auftragslage sei seit Jahren stabil.

Trotzdem hinterlässt das Digitalzeitalter seine Spuren auch auf den bedruckten Kärtchen - einfach weil der vernetzte Mensch aus immer mehr einzelnen Kontaktdaten besteht, was den Gestaltern wiederum immer mehr Kopfzerbrechen bereitet: "Früher gab es nur Postadresse und Telefonnummer", sagt Ostenrieder, "inzwischen gibt es Angaben zu E-Mail und allen möglichen sozialen Netzwerken." All diese Einzeldaten muss er nun irgendwie gut lesbar und übersichtlich unterbringen.

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