Pisa-Studie: Deutschland holt auf:Besser ist noch nicht gut

Lesezeit: 3 min

Manches hat sich verändert an Deutschlands Schulen, doch beim Lesen sind deutsche Schüler bestenfalls Mittelmaß. Das Problem liegt im System.

Birgit Taffertshofer und Tanjev Schultz

Jetzt loben sie sich wieder alle. Eifrig waren die Kultusminister am Dienstag bemüht, selbst hauchzarte Verbesserungen ihres Bundeslands als einen Erfolg ihrer Reformen zu deuten. Es gehe nicht um Gewinner und Verlierer, betonte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), als sie die Pisa-Tabellen vorstellte. Im Vergleich zur ersten Studie aus dem Jahr 2000, die zum Synonym für das Versagen der deutschen Schulen wurde, konnte fast jedes Bundesland Fortschritte melden.

Mathematik: Der Abstand zwischen Schlusslicht Bremen und dem Spitzenreiter Sachsen enorm entspricht dem Lernpensum von bis zu zwei Schuljahren. (Foto: Foto: ap)

Und im internationalen Vergleich liegen nun 13 Bundesländer zumindest in den Naturwissenschaften über dem OECD-Durchschnitt. Im Lesen und in Mathematik bleiben die meisten jedoch Mittelmaß. Und noch immer ist der Abstand zwischen dem Schlusslicht (Bremen) und dem Spitzenreiter (Sachsen) enorm: Er entspricht dem Lernpensum von bis zu zwei Schuljahren.

Jeder fünfte Leistungsschwach

Sachsen verdrängte Bayern von der Spitze und liegt jetzt in allen drei Testbereichen - Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften - auf dem ersten Platz. Auch Thüringen landete über dem Mittelwert der OECD; Rheinland-Pfalz steigerte sich beim Lesen. Selbst Brandenburg bekam ein Lob des Pisa-Forschers Manfred Prenzel, weil das Land die Leistungsanforderungen in seinen Schulen angehoben habe.

Bundesweit eine der größten Schwächen bleibt die unzureichende Förderung von Migranten und Kindern aus armen Familien. An den Hauptschulen in Hamburg und Bremen scheitern bis zu 75 Prozent der Jugendlichen an einfachsten Lese- und Rechenaufgaben. Bundesweit und über alle Schulformen betrachtet, gehört jeder fünfte Jugendliche zur Gruppe der besonders Leistungsschwachen.

Berufsprestige der Eltern

Außerdem bleibt die hohe Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft nach den Worten des Berliner Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD) "das zentrale Problem" in Deutschland. In Berlin und Hamburg hängen die Leistungen der Jugendlichen besonders stark mit dem Einkommen und Berufsprestige der Eltern zusammen. Vergleichsweise gering ist dieser Zusammenhang in Sachsen und Niedersachsen.

Arbeiterkinder haben es in allen Bundesländern schwer, auf ein Gymnasium zu kommen - sogar bei guten Leistungen. In Bayern besuchen nur acht Prozent der Kinder von ungelernten oder angelernten Arbeitern ein Gymnasium. In Thüringen und Sachsen-Anhalt sind es 20 Prozent. Allerdings ist das bayerische Schulsystem sozial durchlässiger geworden. Die Chancen eines Facharbeiterkinds, im Alter von 15 Jahren ein Gymnasium zu besuchen, sind zwar immer noch 4,3 mal geringer als die eines Kindes aus der Oberschicht. Doch im Jahr 2000 waren die Chancen noch viel schlechter.

Auf der nächsten Seite: Was soll mit den Hauptschulen geschehen?

Pisa-Studie: Die Aufgaben
:Hätten Sie's gewusst?

Welches Bundesland hat die besten Schulen? Im Ländervergleich 2008 der deutschen Bildungsinstitute setzte sich der Freistaat Sachsen an die Spitze. Anderswo scheiterten Schüler an diesen Fragen. In Bildern

Hauptschulen in der Diskussion

Pisa-Forscher Prenzel bemängelte, dass in Deutschland jedes Bundesland dazu neige, ein eigenes Schulsystem zu erfinden. Dabei habe der Osten gezeigt, dass sich mit einem relativ einfachen zweigliedrigen Modell gute Erfolge erzielen ließen. "In der Schweiz würde kein Kanton auf die Idee kommen, sein eigenes Schulsystem zu erfinden", sagte Prenzel.

SPD-Politiker, Grüne und Gewerkschafter forderten, die Hauptschulen abzuschaffen. "Wir müssen das Augenmerk auf die Risikoschüler legen und nicht auf deren Lernort", versuchte Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz (parteilos) die Diskussion über die Schulstruktur zu beruhigen. Doch solle man sich das sächsische Modell mit Gymnasium und Mittelschule ruhig genauer ansehen, empfahl Olbertz.

Die Pisa-Daten könnten auch eine Debatte über die Öffnung der Gymnasien auslösen. Denn die Forscher widerlegten ein verbreitete Sorge, wonach die Leistungen zwangsläufig sinken würden, wenn mehr Jugendliche eines Jahrgangs aufs Gymnasium wechseln. Dies ist im Vergleich der Länder aber nicht der Fall. In Berlin beispielsweise besuchen mehr als 36 Prozent der 15-Jährigen ein Gymnasium, in Niedersachsen nur 29 Prozent. Die Leseleistungen der Berliner Gymnasiasten sind jedoch besser.

Breit gestreute Leistungen

Und in Mecklenburg-Vorpommern blieben die Leistungen der Gymnasiasten seit 2003 stabil, obwohl der Anteil der 15-Jährigen, die aufs Gymnasium gehen, in dieser Zeit um 6,2 Prozent gestiegen ist. Bei diesem Zustrom das Kompetenzniveau zu halten, "sei durchaus keine Selbstverständlichkeit", würdigten die Wissenschaftler dieses Ergebnis.

Viele Realschüler hätten offenbar auch wenig Mühe, mit den Anforderungen im Gymnasium mitzuhalten. In Baden-Württemberg beispielsweise erreichen etwa 15 Prozent der Realschüler Pisa-Werte, die über dem mittleren Niveau der Gymnasien liegen. Besonders breit gestreut sind die Leistungen an Gesamtschulen, dort gibt es etwa in Nordrhein-Westfalen sowohl extrem schwache als auch sehr starke Schüler. Groß sind bei Gesamtschulen zudem die Unterschiede zwischen einzelnen Schulen - an einigen Gesamtschulen sind die Leistungen recht ordentlich, an anderen miserabel.

© SZ vom 19.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: