Pilotprojekt:Pauken für die Bundesliga

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Wie wird man Fußball-Profi? Drei Münchner Schulen bilden die Leistungssportler von morgen aus.

Karin Bühler

(SZ vom 20.3.2002) Taufkirchen - Frau Zeitelhack kämpft mit der Wäsche. Tag für Tag zwei Trommeln: verschwitzte Trikots, Stutzen, T-Shirts, Trainingshosen. Sie gehören Benedikt, Sebastian und Thomas. Alle drei sind Fußballer. Nicht nur im Verein - "60er, ist doch klar", sondern auch in der Schule. Sebastian Zeitelhack besucht die Leistungssportklasse (LSK) acht des Theodolinden-Gymnasiums in München. Sein Bruder Benedikt die LSK fünf der Walter-Klingenbeck-Realschule Taufkirchen und Thomas Haberzett die neunte der Hauptschule Taufkirchen.

Sammy Kuffour vom FC Bayern München (Foto: N/A)

Sie haben alle drei den gleichen Traum: Fußball-Profi werden. Das Pilotprojekt München Süd des bayerischen Kultusministeriums wurde vor drei Jahren gestartet. An der Förderung von Leistungssportlern sind die drei Schulen der Buben, der Bayerische Fußballverband (BFV) sowie die Vereine FC Bayern, TSV 1860München und die SpVgg Unterhaching beteiligt. Ein ähnliches Projekt läuft auch in Nürnberg.

Immer abgelenkt

Thomas kommt aus Mitterteich, einem kleinen Ort bei Weiden. Bis zur achten Klasse ging er in der Oberpfalz zur Schule und kickte bei der SpVgg Wiesau - mit Erfolg: Er kam in die Bezirksauswahl, mit 13 Jahren in die Bayernauswahl. 2001 war für Thomas dann das Jahr des großen Wechsels: von Wiesau zu den Münchner Löwen. Von den Eltern nach Holzkirchen zu den Zeitelhacks. Von der Hauptschule in die Leistungssportklasse.

"Der Unterschied zu früher ist der, dass ich jetzt bis 16 Uhr in der Schule bin", sagt Thomas, "dass man sich mit den anderen im Sport richtig messen kann und dass meine Noten viel besser geworden sind." In Mathematik wurde aus einer Vier im Zeugnis eine glatte Eins. Früher, als er noch in Mitterteich wohnte, kam Thomas von der Schule heim, warf seine Schulmappe in die Ecke und rannte hinaus auf die Wiese. Irgendjemand fand sich immer, der mit ihm spielte, der Cousin, ein Nachbarjunge, Freunde. "Der Bub war immer abgelenkt", erzählt die Mutter. Hausaufgaben waren out. Thomas sagt: "Heute komme ich in meine Gastfamilie und lerne, Fußball habe ich ja schon in der Schule gespielt."

Es geht nicht nur um Fußball

Thomas ist inzwischen 15 Jahre alt, ein ruhiger, gewissenhafter Typ. "Er ist einer von denen, die kapiert haben, worum es geht", sagt sein Klassenleiter Stefan Alder.

Nämlich nicht nur um Fußball - selbst wenn der Sport einen Großteil seiner Zeit in Anspruch nimmt. Zusätzlich zum normalen Stundenplan, der in allen Parallelklassen der Hauptschule gilt, hat Thomas weitere sechs Stunden Fußball bei einem Vereinstrainer des Leistungssport-Projekts.

Auch übt er drei Mal wöchentlich bei 1860 München. Am Wochenende stehen zudem Punktspiele auf der Tagesordnung. Mittags bleibt Thomas mit seinen Klassenkameraden in der Schule. Essen kocht der Wirt im Sportpark. Bei den Hausaufgaben werden die 24 Kinder betreut. "Dieses Projekt ist eine einmalige Chance, Talente zu fördern und zu entwickeln", betont Hauptschul-Rektor Hans-Peter Mößner.

Talentdiagnose nach System

Vor der Aufnahme in eine Leistungssportklasse erfolgt die Sichtung durch den BFV und die Partnervereine. Die TU München hat dazu ein Talentdiagnose-System entwickelt. Die Kriterien: Körperbau, Sprintschnelligkeit, Laufkoordination, Schrittfrequenz, Sprungkraft, Einfach- und Auswahlreaktion.

Für manche seiner insgesamt 115 Leistungssportschüler sei die LSK ein echter Anker. Sie diene zur Stärkung des Selbstvertrauens, sagt Mößner: "Wenn man bisher schon nicht schulisch auftrumpfen konnte, dann hat man hier wenigstens eine sportliche Perspektive."

Thomas hat beides. Nach dem Hauptschulabschluss, der bald ansteht, will er in eine M 10-Klasse wechseln und den Realschulabschluss schaffen. Denn darauf legt der TSV 1860 München Wert. Schule und Fußball sei leichter zu schaffen als Arbeit und Fußball, so die Vereins-Regel. "Also häng' ich mich jetzt in der Schule mehr rein", sagt Thomas, der voriges Jahr bei seinem Praktikum als Industriemechaniker merkte, wie schlapp er nach der Arbeit war.

Echte Wettkampftypen

Sportstunde bei Klassenlehrer Stefan Alder. Die Neuntklässler spielen Fußball - heute ausnahmsweise in der Halle. Es sind durchtrainierte Buben, sehr schnell und ziemlich wendig. Kein Getratsche, keine Blödelei, keiner, der sich drücken will. Jeder ist voll konzentriert. "Echte Wettkampftypen", sagt Alder stolz. Ihre Motivation im Sport übertrage sich auf den Unterricht.

Die Schuhsohlen der Jungs quietschen auf dem Hallenboden. Ein kleiner Flinker startet, dribbelt, bleibt an Thomas hängen. Wumms! Der Ball klatscht an die Hallenwand. "Geschont wird keiner", sagt der Lehrer. Kurz vor dem Pausenläuten pfeift er ab. Thomas verschwindet in der Kabine. T-Shirt, Hose, Unterwäsche und die Socken sind verschwitzt. Ein neues Kleiderbündel für Frau Zeitelhack. Die ist zu Hause noch mit der Wäsche vom Vortag beschäftigt.

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