Pflegeberufe:Gefangen in der eigenen Welt

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Im Umgang mit demenzkranken Patienten haben viele Krankenhäuser große Schwierigkeiten. In Kursen lernt das Klinkpersonal, wie man diese Menschen besser versteht.

Von Joachim Göres

Gegen acht Uhr wird der Patientin im Krankenhaus mitgeteilt, dass sie um elf Uhr operiert wird. Danach beobachten die Krankenschwestern bei der verwirrt wirkenden Frau eine starke Unruhe. Später wird sie abgeholt und mit den Worten "Warten Sie hier einen Moment, wir bringen Sie gleich in den OP-Raum" alleingelassen. Als der Pfleger sie in den Operationsraum schieben will, ist das Bett leer. Für Sabine Tschainer-Zangl ist dies ein typisches Beispiel für den falschen Umgang mit Menschen mit Demenz im Krankenhaus. "Man darf ihnen erst eine Information geben, wenn es wirklich so weit ist. Und man darf sie nicht warten lassen, weil sie kein Zeitgefühl haben", sagt Tschainer-Zangl.

Die Psycho-Gerontologin bietet seit 2011 in ihrem Institut "aufschwungalt" in München Fortbildungen für Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen zum Demenzbeauftragten an. An neun Tagen geht es um Themen wie den Umgang mit Unruhe, Handlungsmöglichkeiten bei aggressivem Verhalten, Probleme bei der Nahrungsaufnahme, Probleme mit Mitpatienten und Kommunikation mit schwierigen Angehörigen. Das Ziel: eine bessere Versorgung der betroffenen Patienten und eine höhere Arbeitszufriedenheit bei den teilnehmenden Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Ärzten und Psychologinnen.

"Nach einer OP werden Menschen mit Demenz wegen ihrer Unruhe oft fixiert oder sie bekommen Psychopharmaka, was nicht selten zu einer Traumatisierung bei ihnen führt. Von meinen Teilnehmern, die zu diesen Mitteln greifen müssen, höre ich häufig: 'Mir blutet dabei das Herz, doch ich weiß mir nicht anders zu helfen' ", sagt Tschainer-Zangl und nennt eine Alternative: "Eine ehrenamtliche Kraft im Krankenhaus kann sich in dieser besonderen Situation um so einen Patienten kümmern und ihn beruhigen. Wichtig ist deswegen, dass der Demenzbeauftragte nicht auf sich allein gestellt bleibt." Damit meint sie auch, dass eine Person mit einer besonderen Weiterbildung allein nicht viel im Krankenhaus ausrichten kann - die Unterstützung durch die Klinikleitung sei wichtig, um zum Beispiel organisatorische Abläufe zu ändern und den Demenzbeauftragten von anderen Aufgaben zu entlasten. Die nächsten Kurse mit maximal 20 Personen - nun unter dem neuen Namen "Demenz-Dolmetscher" - beginnen in München im März und September und richten sich erstmals auch an Fachkräfte in der Alten- und Behindertenhilfe.

In einer Klinik dürfen Angehörige von Demenzpatienten sogar im Krankenzimmer übernachten

Die fremde Umgebung, der andere Tagesablauf, lange Wartezeiten, enger Körperkontakt - all dies kann bei Menschen mit Demenz Stress auslösen. Wenn im Krankenhaus nicht erkannt wird, dass ein Patient dement ist, kann der Heilungsprozess länger dauern. 2050 werden nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hierzulande voraussichtlich drei Millionen Menschen an Demenz leiden; derzeit sind es ungefähr halb so viele. "Schon aus wirtschaftlichen Gründen ist es sinnvoll, stärker auf Menschen mit Demenz im Krankenhaus einzugehen", sagt Tom Motzek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Demografie und Diversität der TU Dresden. Er wertete die Daten der Mitglieder der AOK Plus aus dem Jahr 2014 aus - danach werden Menschen mit Demenz um ein Drittel häufiger in Krankenhäuser eingewiesen und im Durchschnitt 1,8 Tage später entlassen als Personen ohne diese Erkrankung.

Die medizinische Fachangestellte Kirsten Lobsien, die Krankenpflegerin Caroline Roß und der Arzt Jörg Mayer vom Braunschweiger Krankenhaus Marienstift haben sich in einem Kurs, der 160 Stunden umfasst, bei der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen zu Demenzbeauftragten fortgebildet. Sie wollen möglichst viel über den Erkrankten wissen, um Vorlieben und Abneigungen berücksichtigen zu können. "So können wir bestimmte Rituale auch während des Krankenhausaufenthalts ermöglichen. Auch private Gegenstände wie Tasse, Lieblingskissen oder Fotos können und sollen mit ins Krankenhaus gebracht werden", sagt Lobsien. Im Marienstift legt man viel Wert auf engen Kontakt zu Angehörigen. "Ihre Anwesenheit im Krankenhaus hilft den betroffenen Patienten wie auch uns. Deshalb wird in unserem Haus auch ein Rooming-in angeboten", sagt Roß. Dass Angehörige im Krankenhauszimmer mit übernachten können ist allerdings keine Selbstverständlichkeit. "Ein Bett für den gesunden Partner eines Menschen mit Demenz wird nicht von den Krankenkassen vergütet. Da ist ein Sinneswandel nötig", fordert Helge Engelke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft.

Am Klinikum Osnabrück haben bislang zwölf Mitarbeiterinnen erfolgreich an der Fortbildung teilgenommen. "Das Interesse daran ist groß. Unser Ziel ist es, auf jeder unserer 20 Stationen eine speziell geschulte Kraft zu haben", sagt Pflegedienstleiterin Annette Sechelmann. Auf der geriatrischen Station gibt es in einem abgetrennten Bereich zehn Plätze für Menschen mit hohem Bewegungsdrang. Das Weglaufen verhindern spezielle Türen. Die Zimmer sind in einem warmen Farbton gestrichen, es wird für viel Tageslicht gesorgt. "Das wirkt beruhigend", sagt Sechelmann.

Zum Konzept, das bis Ende 2020 vollendet sein soll, gehört ein sogenanntes mobiles Demenzzimmer, das auf allen Stationen eingesetzt werden kann - Patienten können sich mithilfe von Uhren, Kalendern und Bildern an den Türen besser zurechtfinden. Geplant ist auch ein spezielles Ernährungskonzept. Zudem sollen Patienten auf Plattdeutsch angesprochen werden. Sechelmann räumt ein: "Demenz wird noch viel zu oft nicht erkannt. In der Notaufnahme fehlt häufig die Zeit, gerade in der Chirurgie geht viel unter, Hausärzte geben Infos teilweise nicht weiter."

© SZ vom 14.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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