Boris Nikolai Konrad hält seit vier Jahren den Weltrekord im Namenmerken. Der Gedächtniskünstler schrieb seine Doktorarbeit über die neuralen Grundlagen außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen. Zu diesem Thema forscht der 30-Jährige inzwischen am Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour in Nimwegen. Konrad ist Autor des Hörbuchs "Das perfekte Namensgedächtnis".
SZ: Herr Konrad, auch wenn ich mir sehr viel Mühe gebe: Ich scheitere immer wieder daran, mir Namen von neuen Kollegen zu merken. Woran liegt das?
Boris Nikolai Konrad: Beim Gedächtnis gibt es unterschiedliche Talente: Manche tun sich mit Namen einfach schwerer als andere. Interessanterweise könnnen sich die meisten Menschen entweder Namen oder Zahlen besonders gut merken. Nur wenige Menschen können beides gleich gut. Warum das so ist, weiß man noch nicht. Sie sind übrigens eher eine Ausnahme: Normalerweise tun sich Männer mit Namen schwerer als Frauen.
Ist das wissenschaftlich belegt?
Ja, es gibt Studien, die zeigen, dass es beim Gedächtnis gewisse Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Die Differenz ist nicht so groß, wie man vielleicht vermuten würde, aber klar feststellbar. Frauen sind oft in sprachlichen Dingen besser als Männer. Männer sind im Allgemeinen besser darin, sich abstrakte Dinge und Zahlen einzuprägen. Oft gleicht man aber eine kleine Schwäche in einem bestimmten Gedächtnisbereich mit einer Stärke in einem anderen aus - unabhängig vom Geschlecht.
Ist ein schlechtes Namensgedächtnis also eine angeborene Schwäche?
Es gibt auf jeden Fall einen angeborenen Faktor. Aber auch Erziehung oder Gewohnheit spielen eine Rolle. Wenn etwa meine Eltern keinen Wert auf Namen gelegt haben, blende ich sie ebenfalls öfter aus. Manchmal hat man in diesem Bereich nur eine kleine Schwäche und redet sich diese immer stärker ein - das ist natürlich auch nicht förderlich. In jedem Fall ist es eine Trainingssache: Wer einen Beruf hat, in dem er oft fremden Menschen begegnet, hat es tendenziell leichter als ein Techniker, der sein Leben lang in derselben Arbeitsgruppe an einem Gerät schraubt.
Sie halten seit 2010 den Weltrekord im Namenmerken. Wie viele Namen können Sie passenden Gesichtern zuordnen?
Bei meinem Weltrekord habe ich mir 201 Namen innerhalb von 15 Minuten eingeprägt. Wobei Vor- und Nachname extra gezählt wurden. Es ging also konkret um zirka hundert Personen.
Wie funktioniert Ihre Technik?
Ich wandle den Namen in etwas Bildhaftes, Emotionales um. In den dafür zuständigen Hirnbereichen lassen sich deutlich leichter Inhalte abspeichern. Ganz konkret suche ich mir erst einmal ein Bild für einen Namen. Ich überlege mir also einen Gegenstand, der so ähnlich klingt, oder denke an eine Person mit dem gleichen Namen. Leicht ist es, wenn der Name einen Beruf darstellt. Dann stelle ich mir diese berufliche Tätigkeit genau vor. Im zweiten Schritt muss ich dieses Bild mit der Person verbinden, die den Namen trägt.
Wie würden Sie sich denn meinen Namen merken?
Ich würde mir eine Szene vorstellen, in der Sie auf Nina Hagen treffen und sie Ihre ganze Kleidung violett anmalt.
Wie wäre es mit Ulla Schmidt?
Bei Schmidt denke ich gleich an einen Schmied. Ich würde mir also Ulla Schmidt vorstellen, wie sie etwas schmiedet. Ulla ist da schon schwerer. (Er denkt eine Weile nach.) Da fällt mir das Bild ein, dass sie in der Schmiede das Eisen immer wieder kühlen muss und dazu eine Pulle Wasser nutzt.
Müssen es immer besonders abstruse oder lustige Bilder sein?
Lustig ist meist der beste Weg. Das funktioniert sehr gut und macht nebenbei auch Spaß. Bei mir sind aber nicht alle Bilder abstrus oder lustig.
Das passende Bild fällt einem vielleicht nicht sofort ein, wenn man gerade dem neuen Kollegen vorgestellt wird.
Nein, und das ist auch nicht schlimm. Mein Tipp ist: Konzentrieren Sie sich erst mal darauf, den Namen richtig zu verstehen. Dann sprechen Sie ihn einmal aus, indem Sie etwa sagen: "Frau Müller, schön Sie kennenzulernen." Durch das Sprechen ist der Name auf jeden Fall einmal im Gedächtnis angekommen. Und dann kann ich nach Ende des Gesprächs in Ruhe überlegen: Welches Bild fällt mir zu diesem Namen ein?
Für Ihre Wettbewerbe müssen Sie sich Namen meist nur für einen sehr kurzen Zeitraum merken. Wie sieht es aus, wenn ich den Namen in ein paar Wochen oder Monaten abrufen muss?
Eine Woche später ist der Name dank der Gedächtnistechnik meist noch präsent, aber ein Jahr später eher nicht, das ist richtig. Namen, die man sich langfristig merken muss, sollte man daher wiederholen. Ich empfehle, dass Sie sich abends noch einmal fragen: "Habe ich heute eine neue Person kennengelernt?" Das ist wichtig, weil viele Abspeicherungsprozesse im Schlaf ablaufen. Wiederholen Sie den Namen des neuen Kollegen beim Einschlafen. Wenn ich weiß, dass ich eine Person erst in einem Jahr wiedersehe, sollte ich mich nach einem Monat noch mal an den Namen und das dazugehörige Bild erinnern. Das empfehle ich beispielsweise Leuten, die im Vertrieb tätig sind und ihre Kunden nur zweimal im Jahr sehen.
Funktioniert diese Technik auch mit Vokabeln beim Fremdsprachenlernen?
Ja, das funktioniert ähnlich. Wie beim Namen überlege ich mir ein Wort, das ähnlich klingt wie die Vokabel. Das verbinde ich dann bildhaft mit der tatsächlichen Bedeutung des Wortes. Diese Technik hat mir auch beim Abitur und im Studium sehr geholfen.