Als Huel Fuchsberger im zweiten Semester seines Games-Studiengangs war, machte ihm die Berliner Spielefirma Wooga ein Angebot, das er eigentlich nicht ablehnen konnte: Festanstellung, ansprechendes Gehalt, Entwicklungsperspektiven, flache Hierarchien und die für Startups so typische Verpflegung am Arbeitsplatz mit Müsli, Obst und Cappuccino. Die ganze Palette der Personaler-Lockmittel also. Huel Fuchsberger sagte nein.
Zwei Jahre später sitzt der 25-Jährige in Schlabberpulli und mit schwarz gerahmter Brille nun doch bei Wooga am Prenzlauer Berg. Wooga, das ist eine auf drei Stockwerke verteilte Erfolgsgeschichte made in Germany. Gegründet 2009 mutierte das Start-up binnen sechs Jahren zu einem Betrieb mit 300 Angestellten und einem der Top Player für mobile Games weltweit. Warum nun doch Wooga? "Nach einem gemeinsamen Projekt kam Wooga im vierten Semester wieder auf mich zu", sagt Fuchsberger. "Dieses Mal habe ich Ja gesagt."
Die Geschichte von Wooga und Huel Fuchsberger ist nur eine von vielen in der Hauptstadt, und sie ist typisch für eine Branche, die seit einigen Jahren enorme Zuwächse verzeichnet. Früher zockten Kinder und Teenager auf PC und Konsole. Heute daddeln in der U-Bahn Frauen wie Männer, Kinder wie Senioren auf ihren Smartphones und Tablets. Sie bauen Städte, bewirtschaften Farmen und steuern Raumgleiter. Ein riesiger Markt ist entstanden, auch in Deutschland, und damit ein enormer Bedarf an Fachkräften, an Programmierern, Leveldesignern und Game-Artists. Die Firmen buhlen um Talente, heißt es bei Wooga, nicht die Bewerber um Jobs.
"Mit der größte Wachstumshemmer in der Branche ist der Fachkräftemangel", sagt Maximilian Schenk, Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU). Eine Umfrage des Verbandes ergab: 85 Prozent der befragten Entwicklerfirmen suchen Personal. Viele der Firmen räumen der Suche nach geeigneten Mitarbeitern "hohe Priorität" ein, um weiter wachsen zu können. Weil Fachkräfte fehlen, verschieben sich Abgabetermine oder können Projekte nicht realisiert werden, sagt Schenk.
Der Mann, der für die Berliner Firma Wooga die lange Liste der offenen Stellen kürzen soll, heißt Steven Gilmore. Um seinen Job zu erfüllen, spielt der 35-jährige Personalchef auf der ganzen Klaviatur: Er wirbt mit Social Media, mit Events, Konferenzen und Kooperationen mit Universitäten in Deutschland und dem Ausland. "Wir suchen weltweit", sagt er. "In Deutschland alleine könnten wir die Mitarbeiter, die wir brauchen, gar nicht finden." Mehr als 50 Prozent der Angestellten bei Wooga kommen aus dem Ausland. Bei anderen Spielefirmen ist das nicht anders.
Die begehrten Absolventen von Games-Studiengängen zieht es in die Autobranche und zum Film
Das Gehalt sei für die jungen Talente nicht alleine ausschlaggebend bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber, sagt Gilmore. Die Firmenkultur müsse passen: gute Karriereaussichten, spannende Aufgaben und natürlich die Arbeitsatmosphäre. Bei Wooga heißt das: coole Sofas im Großraumbüro, quietschgelbe Treppen, Küche mit Kaffeemaschine und Snacks, Apple-Computer, verglaste Konferenzräume, die schon mal nach Popikonen wie Kate Moss benannt sind. Für das Gespräch sitzt Gilmore in "The Beergarden".
Wenn sich trotz aller Bemühungen niemand finden lässt, kommen Headhunter zum Einsatz, wie bei Matt Roberts. Der 36-jährige Amerikaner aus Philadelphia hat Informatik studiert und dann für Microsoft im Firmenhauptsitz in Seattle an der Westküste gearbeitet. Ganz glücklich war er dort nicht. Dann kam der Kontakt zu einem Headhunter, der einen Chef für eines der sechs Wooga-Studios suchte. Von Wooga hatte er schon gehört, ihm gefiel das Konzept. Skype-Interviews und eine Einladung nach Berlin folgten. Roberts sagte zu, zog von der Westküste in die deutsche Hauptstadt, verließ den Softwarekonzern mit 112 000 Mitarbeitern für eine Entwicklerfirma mit etwa 300 Angestellten. Mehr Selbstbestimmung und der direkte Draht zu den Gründern waren für ihn ausschlaggebend.
Utz Stauder, 26
"Games haben mich immer interessiert. Dann hörte ich von dem Digital-Games-Studiengang an der TH Köln, habe mich beworben und komme nun ins vierte Semester. Vorher habe ich Informatik studiert und beim Fernsehen gearbeitet. Bereut habe ich den Wechsel nie. Die Uni legt großen Wert auf Projekte, das ist genau mein Ding. Mit Kollegen habe ich ein 3-D-Spiel entwickelt, dafür wurden wir beim Deutschen Entwicklerpreis ausgezeichnet. Dank der vielen Projekte bekommen wir gute Kontakte zur Industrie. Über meine Zukunft mache ich mir keine Sorgen."
Leonie Wolf, 22
"Angst, keinen Job zu finden, habe ich nicht. Die Spielebranche wächst weltweit, unsere Fähigkeiten sind gefragt. Außerdem fühle ich mich wohl mit dem, was ich tue. Als ich vor drei Semestern anfing, war der Games-Studiengang neu, ich gehöre zum ersten Jahrgang. Wir können viel mitgestalten und experimentieren, ganz anders als zum Beispiel in Japanologie mit Nebenfach Jura, was ich vorher studiert habe. Da war alles so starr. Für mich steht bald das Praxissemester an. Ich will in ein Unternehmen, um Kontakte zu knüpfen und Erfahrung zu sammeln."
Seren Besorak, 36
"Ich habe jahrelang als Eventveranstalter gearbeitet. Nach der hundertsten Firmenfeier ist die Spannung raus. Ich wollte etwas Neues machen, sah die Anzeige für den Games-Studiengang und habe mich beworben. Dass ich einen der wenigen Plätze bekomme, habe ich am Anfang gar nicht glauben können. Nun bin ich im ersten Semester und genieße die Freiheit, die wir hier haben. Animationen und Character-Design interessieren mich besonders. Das später mal in einer großen Produktion umsetzen zu können, wäre klasse."
Der Mangel an Arbeitskräften in der Games-Branche ist hausgemacht, glaubt Gundolf Freyermuth von der Technischen Hochschule Köln. Freyermuth ist Direktor des Cologne Game Labs. Seit 2010 bietet sein Institut den Master-Studiengang "Game Development and Research" an, seit 2014 den Bachelor "Digital Games". Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern oder den USA habe Deutschland, was die Zahl der Ausbildungsplätze anbelangt, Nachholbedarf. "Abgesehen von privaten Bildungseinrichtungen gibt es nur eine Handvoll staatlicher Hochschulen, die ausbilden, neben uns etwa noch Berlin, Trier, Darmstadt", sagt Freyermuth.
Freyermuth bestätigt zwar, dass die meisten seiner Studenten später auch Spiele entwickeln. Doch einige gehen auch in andere Branchen, zu Automobilherstellern oder Filmproduktionen. "Ob Sie später Sounddesign für ein Spiel oder einen Mercedes machen oder Special Effects für Games oder einen Film - das ist so verschieden nicht", sagt Freyermuth. "Aber die Automobilindustrie und selbst der Film zahlen einfach deutlich besser als die meisten Firmen in der Gamesbranche."
Der Bundesverband BIU hat auf den Fachkräftemangel mit der "Initiative Pro Talent" reagiert, die den Austausch zwischen Hochschulen und Spiele-Industrie fördern soll. Aber auch von der Politik wünscht sich der Verband mehr Unterstützung, damit Deutschland gegenüber dem Ausland nicht noch weiter an Attraktivität verliert. Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung verweist auf die Förderungen, die es bereits gibt, etwa ein Darlehensprogramm der Investitionsbank Berlin. Am Ende müsse sich aber das Produkt im internationalen Wettbewerb behaupten.
Huel Fuchsberger, der junge Mitarbeiter bei Wooga, glaubt an den Standort Deutschland. Es gebe erfolgreiche Firmen hier, sagt er. Seine Zukunft sieht er auch weiterhin in der Games-Industrie. "Gespielt wird schließlich immer."