Hochbegabung:Abseits der Norm

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Hochbegabung ist ein Geschenk, kann aber auch Belastung sein. Erziehungswissenschaftler Martin Textor über verlässliche IQ-Tests und Probleme besonders talentierter Kinder.

Anne-Ev Ustorf

Aus Unterforderung schalten viele hochbegabte Kinder in der Schule ab. Sie müssen gezielt gefördert werden, damit sie ihr Talent in Leistung umsetzen können, meint der Erziehungswissenschaftler Martin Textor, der auf das Thema Hochbegabung spezialisiert ist. Er veröffentlichte mehr als 30 pädagogische Fachbücher und ist Mitbegründer des privaten Instituts für Pädagogik und Zukunftsforschung in Würzburg.

Hochbegabtes Mädchen am Flügel: Wenn kleine Kinder besonders stark auf Musik reagieren, sind sie möglicherweise musisch begabt. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Wie viele Kinder in Deutschland sind hochbegabt?

Martin Textor: Verlässlich kann man dies nur im Bezug auf die allgemeine intellektuelle Begabung sagen, die durch Intelligenztests gemessen wird. Einen IQ von mehr als 130 haben 2,2 Prozent der Kinder. Allerdings können auch Menschen mit einem niedrigeren IQ in ihrem Leben große Leistungen erbringen. Schließlich ist jede Art von Hochbegabung nur eine Anlage. Es müssen positive Umweltbedingungen hinzukommen, zum Beispiel Eltern und Lehrer, die das Kind angemessen fordern und fördern. Gleichfalls bedeutsam sind Persönlichkeitsfaktoren: Das Kind muss lernmotiviert, anstrengungsbereit, ausdauernd und zielstrebig sein.

SZ: Welche Hochbegabungen gibt es?

Textor: Hochbegabung kann in jedem Entwicklungsbereich auftreten - auf dem kognitiven, musischen, sportlichen, handwerklichen, sozialen oder künstlerischen Gebiet. Häufig wird aber nur über intellektuelle Begabungen gesprochen. Diese können allgemein ausgeprägt sein oder in einem abgegrenzten Gebiet vorkommen, etwa in Mathematik, den Naturwissenschaften, Technik oder Sprache.

SZ: In welchem Alter wird eine Hochbegabung erstmals sichtbar?

Textor: Begabungen können schon im Kleinkindalter beobachtet werden. Wenn kleine Kinder besonders stark auf Musik reagieren, mitsingen und Rhythmen klatschen, sind sie möglicherweise musisch begabt. Sind sie motorisch sehr geschickt, klettern gerne auf Bäume und turnen herum, könnte eine sportliche Begabung vorliegen. Stellen sie viele Fragen und bringen sich schon im Kindergartenalter selbst das Lesen oder Rechnen bei, sind sie möglicherweise kognitiv begabt. Allerdings verläuft die Entwicklung im Kleinkindalter recht ungleichmäßig: Ist ein Kind den anderen auf einem Gebiet weit voraus, können bereits einige Monate später keine Unterschiede mehr zu erkennen sein. Verlässlich lassen sich Begabungen also erst im Grundschulalter ermitteln. Dann erbringen auch IQ-Tests korrekte Ergebnisse.

SZ: Wenn man beim eigenen Kind eine besondere Begabung vermutet - wie verhält man sich dann?

Textor: Man sollte dem Kind so früh wie möglich entsprechende Angebote erschließen, in Musikschulen, Sportvereinen oder Volkshochschulen. Intellektuelle Begabungen hingegen werden innerhalb des Bildungssystems gefördert: Diese Kinder können schon mit fünf Jahren eingeschult werden und Klassenstufen überspringen. Allerdings darf man über das jeweilige Talent nicht das Allgemeinwissen und die anderen Entwicklungsbereiche wie zum Beispiel kommunikative und soziale Kompetenzen vergessen. Außerdem sollte man genau prüfen, ob wirklich eine Hochbegabung vorliegt.

SZ: Gibt es da oft Fehleinschätzungen?

Textor: Viele Eltern fördern die Entwicklung ihrer Kinder ohnehin intensiv und stellen dann irgendwann fest, dass ihr Kind in dem einen oder anderen Bereich weiter entwickelt ist als Gleichaltrige. So halten sie es für hochbegabt - und verwickeln sich in endlose Konflikte mit Erzieherinnen und später Grundschullehrerinnen, die den Entwicklungsvorsprung nur auf die intensive Förderung durch die Eltern zurückführen. Deutlich wird hier, dass eine verlässliche Diagnose eigentlich nur von mehreren Personen gemeinsam erstellt werden kann. Darunter sollten möglichst auch Psychologen sein, entweder solche von einer Erziehungsberatungsstelle beziehungsweise einem schulpsychologischen Dienst oder - noch besser - von einer Hochbegabten-Beratungsstelle. Eine solche gibt es zum Beispiel an der Universität München.

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SZ: Viele hochbegabte Kinder haben große Probleme im schulischen Alltag. Ist eine Hochbegabung nun ein Geschenk oder eine Belastung für das Kind?

Textor: Das ist bei jedem Kind unterschiedlich. Natürlich gibt es Hochbegabte, die glücklich und zufrieden sind, die in ihrem Begabungsbereich aufgehen und dort Erfolg und Selbstbestätigung erleben. Doch vielen macht ihr besonderes Talent auch Schwierigkeiten.

SZ: Welche Schwierigkeiten?

Textor: Ein kognitiv hochbegabtes Kind, das mit fünf Jahren eingeschult wurde und Klassen überspringt, kann zum Beispiel darunter leiden, dass es das kleinste und schwächste Kind in der Klasse ist oder immer wieder aus dem Klassenverband herausgerissen wird. Bleibt ein solches Kind hingegen noch ein Jahr länger im Kindergarten, mag es sich dort unterfordert fühlen und deswegen eventuell sogar verhaltensauffällig werden. Kann es in den ersten beiden Grundschulklassen bereits alles, was der Lehrer unterrichtet, mag es abschalten und irgendwann den Anschluss verpassen - manche hochbegabte Kinder kommen später in Förderschulen. Andere Kinder leiden darunter, als Streber oder Besserwisser verspottet zu werden. Einige verstecken sogar ihre Begabung - mathematisch oder technisch begabte Mädchen erkennen zum Beispiel sehr schnell, dass ihr Talent nicht den Geschlechtsrollenerwartungen entspricht. Deshalb ist es sehr wichtig, eine Hochbegabung rechtzeitig zu diagnostizieren. Denn so kann das Kind in seiner Entwicklung gefördert und gestärkt werden.

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